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Bunraku: Das klassische Puppentheater Japans erstmals auf Schweizer Tournée
Text: Angela von Lerber
Anlässlich ihres 150-jährigen Bestehens holt die Schweizerisch-Japanische Gesellschaft im Oktober 2014 zum ersten Mal ein klassisches japanisches Bunraku Puppentheater in die Schweiz. Diese einmalige Gelegenheit will ich mir nicht entgehen lassen. Ich besuche die letzte Station der Tour im Zürcher Schauspielhaus.
Neben Nō und Kabuki ist Bunraku die dritte traditionelle Theaterform in Japan. 1684 in Osaka gegründet, erlebte das Bunraku-Theater im 18. Jahrhundert seinen Höhepunkt. Auch heute werden die grossen Werke von damals noch immer in Osaka gezeigt und als Kulturgut staatlich gefördert. Bei uns in der Schweiz zeigt die Truppe drei Szenen aus verschiedenen Stücken, denn ein echtes Bunraku-Programm dauert in Japan mehrere Stunden.
Eine anspruchsvolle Produktion
Im Grunde greift der Begriff „Puppentheater“ zu kurz, denn Bunraku ist eine Bühnenschau, die mehrere Disziplinen in sich vereint. Was ich an diesem Abend im Zürcher Schauspielhaus zu sehen bekomme, übertrifft all meine Erwartungen. Allein die fast lebensgrossen Puppen mit ihren schillernden Kimono-Gewändern, den Gesichtsmasken und ihren prächtigen Perücken sind Kunstwerke für sich. Jede Puppe wird (sichtbar fürs Publikum) von drei Spielern gemeinsam gespielt, die sich zwischen den kniehohen Bretterwänden der mehrstufigen Kulisse bewegen. Auf der kleinen Seitenbühne daneben lässt der Rezitator seine Stimme erschallen, begleitet vom dreisaitigen Saiteninstrument Shamisen.
Vorhang auf!
Das rhythmische Schlagen von Klanghölzern künden den Beginn des Theaters an. Auf der kleinen Bühne rechts vor dem Vorhang treten der Rezitator (Tayū) und der Shamisen-Spieler auf. Beide verneigen sich. Der Rezitator setzt sich hinter das niedrige Lesepult, der Shamisen-Spieler ergreift sein Saiteninstrument und hält zum Spielen ein grosses Holzplektrum bereit. Bevor sich der Vorhang öffnet, ehrt der Rezitator seinen Lesetext, indem er das Skript mit beiden Händen in die Höhe hält. Darauf erscheint ein schwarz vermummter Spieler auf der Hauptbühne und kündigt den Titel der ersten Szene an. Das Eingangsritual ist abgeschlossen, die Vorstellung geht los.
Zum besseren Verständnis wird der Text über der Bühne auf deutsch und englisch eingeblendet. Auch die Japanerin, die neben mir sitzt, ist auf die Übersetzung angewiesen, den die alte Sprache ist auch für sie nur schwer verständlich.
Kopf, Hand, Beine – ein Zusammenspiel, das Meisterschaft verlangt
Jede einzene der prachtvoll drapierten Riesenpuppen wird von drei Puppenspielern gleichzeitig gespielt. Der Hauptspieler ist für den Kopf und die rechte Hand zuständig. Als einziger Spieler bleibt er unverhüllt. Die beiden anderen, von denen einer nur die linke Hand bedient und der andere die Beine, tragen schwarze Kapuzengewänder. Bald schon nimmt man als Zuschauer die Puppenspieler nicht mehr wahr. Auf der Bühne existieren nur noch die Puppen, deren Innenleben ein wahres mechanisches Wunderwerk ist. Je nach Emotionslage lässt sich Ihr Kopf nach vorn oder nach hinten neigen. Mimik, Mund und Augen sind über Fadenzüge veränderbar, und die hochgesteckten Frisuren lassen sich auflösen. Einige Puppen tragen zwei Kimonos übereinander, sodass auch die Kleidung im Laufe des Spiels ausgetauscht werden kann.
Emotion pur
Die drei gespielten Szenen handeln von grossen Gefühlen: Ein blinder Mann stürzt sich vor Gram über sein wertloses Leben in eine Schlucht, seine trauernde Frau ihm nach. Eine Liebende wird durch Intrigen von ihrem Geliebten getrennt und zelebriert nun ihren Schmerz in einem wilden Tanz. Eine Verlassene wird aus Eifersucht zur Furie.
Eine zentrale Rolle spielt der Rezitator. In rhythmischem Sprechgesang erzählt er die Geschichte und imitiert dabei die Stimme jeder einzelnen Figur. Er beherrscht eine unglaubliche Modulationsvielfalt und wechselt virtuos von Tonlage zu Tonlage. Mal schwillt seine Stimme an, erreicht höchste Töne, um bald in sonore Tiefen abzufallen. Er singt, ruft, heult, klagt, krächzt, kreischt, lacht oder schreit – dynamisch begleitet von den rhythmischen Klängen der Shamisen. Wenn die Figuren auf der Bühne zum Tanz anheben, dann stampfen auch die Puppenspieler mit ihren Holzschuhen im Takt. Das expressive Rezital steigert die Emotionen ins Unermessliche – im Kontrast dazu die strenge Form und die stereotypen Figuren des Puppentheaters.
Die Gefühle der Figuren nehmen regelrecht Gestalt an. Emotionen werden leibhaftig. In ihrer Wut verwandelt sich die zurückgewiesene Liebende in eine Bestie – das hübsche Gesicht wird zur Fratze mit Hörnern. Als Schlange stürzt sie sich ins Wasser, um ihren Geliebten zu rächen. Um sie herum toben Wellen in Form eines blauen Tuches – das farbenfrohe Kimono verwandelt sich in ein silbriges Schuppenkleid mit langer Schleppe.
Präzision und Kunstfertigkeit
Doch die Puppen bewegen sich auch mit einer bewundernswerten Anmut. Im ersten Stück sitzt die Protagonistin in ihrem Haus und näht Stich um Stich mit imaginärer Nadel und Faden an einem Stoff. Wie sie den Faden abreisst und mimisch zwischen den Händen strafft, wirkt umso verblüffender, als doch beide Hände von unterschiedlichen Personen gespielt werden.
Im zweiten Stück „Fuchsfeuer im inneren Garten“ kommt ein Fuchs vor. Dass er seine Ohren spitzen und das Maul aufreissen kann, entockt den Zuschauern ein heiteres Lachen. Das Tier kratzt sich mit der Hinterpfote am Kopf und beisst sich zur Belustigung des Publikums in den eigenen Schwanz. Später ergreift sein „Fuchsfeuer“ auch von der Protagonistin Besitz und gleichzeitig wechselt ihr Kimono die Farbe. Weiss wie der Fuchs tanzt sie nun wie in Trance zu den hypnotisierenden Rufen des Rezitators und den rhythmischen Klängen der Shamisen.
Zehn Jahre braucht ein Puppenspieler bis er jeden Schritt seiner Kunst beherrscht. Im ersten Schritt bedient er nur die Beine der Puppe. Die linke Hand ist den Fortgeschrittenen vorbehalten. Erst als Krönung seiner Fertigkeit kann er sich als Meister der Puppenspieler an den Kopf und die rechte Hand wagen.
Einen faszinierenden Blick hinter die Kulissen des Bunraku-Theaters bieten folgende Doku-Videos auf YouTube:
http://www.youtube.com/watch?v=4TKt67ouaqM
http://www.youtube.com/watch?v=f4G68civvo8