Archiv der Kategorie: Kultur

Pantomime Yoram Boker an der World Mime Conference 2018

Stelldichein der Pantomimen in Belgrad

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Angela von Lerber ist das Gesicht hinter phil-rouge: Sie konzipiert, schreibt und kreiert Content für On- und Offline-Publikationen.
Angela von Lerber
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Über 70 Teilnehmer aus 21 Nationen trafen sich zur ersten World Mime Conference

27.3.2018, von Angela von Lerber

Welche Bilder gehen Ihnen durch den Kopf, wenn Sie das Wort Pantomime hören? – Lebende Statuen als Touristenattraktion entlang einer belebten Flaniermeile, ein verstaubtes Theater in irgendeinem Hinterhof oder gähnende Langeweile in halbleeren Zuschauerreihen? Mit solchen Vorurteilen räumt die World Mime Organisation auf. 2004 vom serbischen Mimen Marko Stojanović und seinem israelischen Berufskollegen Ofer Blum ins Leben gerufen, lud die Organisation vom 21. bis 23. März 2018 zur ersten World Mime Conference nach Belgrad.

Pantomime Marko Stojanović

Marko Stojanović, Präsident der World Mime Organisation, begrüsst die Gäste aus aller Welt

Lange haben die beiden Initiatoren davon geträumt, die Bühnenkünstler der Pantomime und des Körpertheaters sowie ihre Ausbildungsstätten und Institutionen aus allen Ecken der Welt an einem Ort zusammenzubringen. Als Termin für das erste Stelldichein der Mimenkunst wählten sie den World Mime Day vom 22. März, der gleichzeitig der Geburtstag des wohl weltbekanntesten Mimen Marcel Marceau ist. Über 70 Teilnehmer aus 21 Ländern sind dem Ruf nach Belgrad gefolgt – einige per live Zuschaltung über Skype.

Eine Stimme für die leisen Töne der Pantomime

In seiner Ansprache bringt Vizepräsident Ofer Blum das Anliegen des Zusammentreffens auf den Punkt:

«Wir wollen die Pantomime vom Stigma der Antiquiertheit befreien und aufzeigen, welches Potenzial diese Kunstform in sich trägt.» (Ofer Blum)

Die vom Hunter College New York zugeschaltete Theater-Professorin Mira Felner bestätigt seine Diagnose: unter den neuen Studenten am Hunter College kannte gemäss Umfrage nur eine einzige Studentin aus Frankreich den Namen des wohl weltbekanntesten Mimen Marcel Marceau. Höchste Zeit also, diesen Tatbestand zu ändern.

Teilnehmer aus vier Kontinenten

Preisträger Carlos Martínez erzählt aus seinem Schaffen

Die Teilnehmer der ersten World Mime Conference kamen aus Nord-, West- und Osteuropa, den USA, Kolumbien, Brasilien, Japan, China, Bangladesch und Sri Lanka. Eine ansehnliche Gruppe stammte aus Serbien, wo der lokale Organisator Marko Stojanović seit Jahren sein Netzwerk aufbaut und pflegt. Nebst der jährlichen Preisvergabe für besondere Verdienste in der Welt der Pantomime erwartete die Teilnehmer ein dicht gedrängtes Programm. Die Grenzen der Pantomime wurden auslotet und eifrig diskutiert. Wenn man sich auch nicht immer einig war, wo Pantomime aufhört und moderner Tanz anfängt – in einem Punkt stimmte man überein: Die Pantomime hat sich weiter entwickelt und vermag viel mehr zu bewirken, als gemeinhin angenommen wird.

 

Verleihung der World Mime Awards

World Mime Conference 2018

Verleihung des World Mime Awards 2018

Schon in früheren Jahren hat die World Mime Organisation einen Preis für besondere Verdienste im Bereich der Pantomime vergeben. Diesem Jahr waren es gleich fünf Preise, die an Bühnenkünstler oder Institutionen vergeben wurden. Einen davon erhielt der spanische Mime Carlos Martínez, der auch in der Kleinkunstszene der Schweiz kein Unbekannter ist und seit bald vier Jahrzehnten mit seinen Soloprogrammen auf den Bühnen der Welt tourt. Die weiteren Preisträger waren:

Pantomime Theater Shalikashvili

Amiran Shalikashvili jr. präsentiert den spektakulären Neubau, den das staatliche Pantomime-Theater von Georgien in Tiflis plant.

  • Ella Jaroszewicz, Paris
  • Pantomimteatern, Stockholm
  • Das staatliche Pantomime-Theater Shalikashvili, von Geogien, Tiflis
  • Das International Monodrama & Mime Festival, Zemun (Serbien)

Kaleidoskop der Pantomime

Über die Bühne hinaus eignet sich die Pantomime als grossartiges Instrument zur Inklusion von benachteiligten oder körperlich beeinträchtigen Menschen. Die Arbeit mit dem Körper wie das gemeinsame Erleben und Auf-der-Bühne-stehen stärken das Selbstwertgefühl. Aus naheliegenden Gründen pflegt insbesondere die Gehörlosencommunity die Kunst der Pantomime. Lepa Petrović, Leiter der Gehörlosenschule in Belgrad, Julijana Lekić von der serbischen Vereinigung der Gebärdendolmetscher und der gehörlose Mime Ivan Beader erzählten von Pantomime-Projekten unter Gehörlosen. Auf besonderes Interesse stiess die Idee, gemeinsame Bühnenprojekte mit Gehörlosen und Hörenden zu realisieren – endlich auf gleicher Augenhöhe. Mime Nemo aus Deutschland wiederum berichtete, wie er mit seinem Projekt Mime Art for Life mit Workshops in den Townships von Südafrika das Selbstbewusstsein der Jugendlichen stärkt, und sie mit auf Tournee nimmt. Auch mit Behindertenorganisationen arbeitet er zusammen:

«Es braucht viel Geduld. Aber wenn ich für kurze Zeit in der Welt eines Autisten zu Gast sein durfte, fühle ich mich reich beschenkt.» (Nemo alias Wolfgang Neuhausen)

Als Tanz- und Bewegungstherapeut arbeitet Miodrag Kastratović mit Paraplegikern und Menschen mit einer körperlichen Behinderung. Seit vielen Jahren engagiert er sich für die Durchführung von Paradance-Meisterschaften. Erst durch die Begegnung mit dem Gründer der World Mime Organisation wurde ihm nach 35 Jahren Tätigkeit bewusst, dass es eigentlich nicht Tanz war, was er hier praktizierte, sondern Pantomime. Er ist überzeugt – und die Therapieerfolge geben ihm recht: «Pantomime ist besser als jede Medizin.»

Weitere Referate und Präsentationen beleuchteten den künstlerlischen Aspekt der Pantomime zu folgenden Themen:

  • Pantomime und Tanz
  • Die Zukunft der Pantomime als Kunstform und Erwerbsmöglichkeit
  • Pantomime als Curriculum im Rahmen der Hochschulbildung

Nachwuchsförderung

Pantomime Yoram Boker

Yoram Boker aus Tel Aviv erklärt den Einsatz von Masken

Nicht zu kurz kam auch das Lernen und Umsetzen an diesen Tagen. Altgediente Meister der Szene waren angereist, um einen Einblick in ihr Wirken zu geben: so Yoram Boker, der noch im hohen Alter in Tel Aviv an der Universität lehrt, oder Ella Jaroszewicz, die Witwe Marcel Marceaus und ehemaliges Mitglied der Truppe Tomaszewskis. 1974 hatte sie in Paris ihr eigenes Ausbildungsinstitut für Körpertheater eröffnet.

Pantomime: Grande dame Ella Jaroszewicz

Ella Jaroszewicz erhielt den World Mime Award für ihr Lebenswerk

Mit Stanislaw Brosowski war ein weiterer Meister des Körpertheaters nach Belgrad gereist – auch er ein ehemaliger Schüler Tomaszewskis. Brosowski unterrichtet an der Hochschule für Künste in Stockholm und lehrt angehende Schauspieler, auf der Bühne nicht nur ihre Stimme, sondern auch den Körper einzusetzen.

Abgerundet wurde die Konferenz mit einem Nachwuchswettbewerb und praktischen Workshops.

Der Blick zurück: ein Blick in die Zukunft?

Längst nicht jeder Wort- oder Bühnenbeitrag lässt sich in einer Rückschau auf die dichten drei Tage würdigen. Was bleibt, ist Staunen, wie vielfältig die universale Kunstform der Pantomime ist, und an vielen Orten in aller Welt sie nach wie vor auf höchstem Niveau gepflegt wird.

Wurden die bekannten französischen Mimen wie Jacques Lecoq, Etienne Decroux und Marcel Marceau oder der Pole Henryk Tomaszewski in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wie Stars gefeiert, hat die Pantomime heute einen schweren Stand im Schatten des modernen Theaters oder der unterhaltenden Comedy. Die Mimen von damals setzten ihrer Zeit einen Standpunkt entgegen: Vor dem Hintergrund sozialer Spannungen, Kriegsrhetorik oder auch Dekadenz brachten sie die leisen, menschliche Regungen zum Klingen. Wo Worte wirkungslos blieben oder erst gar nicht geduldet wurden, appellierte die Pantomime an die Mitmenschlichkeit. Ob es ihr gelingt, sich diese Rolle in der Gegenwart zurückzuerobern? Das Zusammentreffen zur World Mime Conference könnte ein erster Anfang sein.

Installation im Schreibhaus von Joelle Valterio

Zur Schreibhaus-Eröffnung in Burgdorf

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«Jeder Ort sollte ein Schreibhaus haben», ist Hausherr Ivo Knill überzeugt. Das Schreibhaus bietet, was viele Schreibende vermissen: einen ersten geschützten Resonanzraum für ihre Texte.

12.11.2017, von Angela von Lerber

Letzten Samstag öffnete in Burgdorf das Schreibhaus seine Pforten und lud zum grossen Einweihungsfest. Eine Schreibretraite im Vorfeld liess Texte entstehen, die an diesem Tag erstmals vor Publikum gelesen wurden. Das Schreibhaus bietet, was viele Schreibende vermissen: einen ersten geschützten Resonanzraum für ihre Texte.

Schreibhausmeister Ivo Knill führte die zahlreich angereisten Gäste durchs Haus: Im Keller auf der alten Werkbank warteten lange Packpapierstreifen für Schreibexperimente entlang der eigenen Biografie. Dort, in der ehemaligen Gerberei, begann die Führung mit einer ersten Lesung von Texten, die grösstenteils hier im Haus entstanden sind.

Literatur im Schreibhaus

Das Schreibhaus ist eröffnet

Die nächste Station führte ins Büro, wo der Hausherr selbst arbeitet und schreibt. Im kleinen Pavillon auf der Veranda wartete eine Installation von Joëlle Valterio auf die Gäste. Die Künstlerin hatte in den vergangenen Tagen einen kleinen Zen-Garten geschaffen und mit Steinen und Papierskulpturen belebt. Wispernde Texte umgarnten hier den Besucher.

Weiter führte die Erkundungsreise in die Küche, wo bereits eine warme Suppe vor sich hin köchelte, von da in die gute Stube, die Treppe hoch vors alte Lehrerpult und hinauf zu den Gästezimmern. An jeder Station bekam man frisch geschriebene Texte zu hören. Zum Abschluss las Ivo Knill von oben aus der Estrichluke erste Sätze aus seinem aktuellen Schreibprojekt «Der Himmel meines Bruders».

Schreiben als gemeinschaftlicher Prozess

Mit dem Schreibhaus erfüllt sich der Germanist und Gymnasiallehrer einen langjährigen Traum: eine Schreibstätte, wo Texte ihre Form finden und Literatur eine erste lebendige Öffentlichkeit. Das Schreiben begleitet ihn seit seiner Kindheit. Schreibend reflektiert er persönliche Erlebnisse und erforscht seit vielen Jahren im Freundeskreis einen körperlichen Zugang zur kopflastigen Akt des Schreibens: essend, tanzend und spielerisch. Weg vom einsamen Schreibtisch in die inspirierende Gemeinschaft. Das Schreibhaus will literarische Impulse setzen. Der Hausherr fühlt sich beglückt. Die Geschichten kommen zu ihm. Er darf sie einfach sammeln. So, wie die Geschwistergeschichten der Burgdorfer Kulturnacht vom 21. Oktober, die auf dem Schreibhaus-Blog zu lesen sind.

Ein Rückzugsort zum Schreiben und ein Gegenüber zum Austauschen

«Jeder Ort sollte ein Schreibhaus haben», meint Ivo Knill in seiner Eröffnungsrede. Zwischen den Mauern seines dreihundertjährigen Altstadthauses in Burgdorf, wo früher handfestes Handwerk betrieben wurde – die unteren Räume beherbergten früher eine Schuhmacherwerkstatt, eine Spenglerei, eine Gerberei – zwischen diesen schlummern schon die Geschichten.

Im Dachstock, wo früher die beiden Töchter schliefen, haben Ivo und seine Frau Sonja vier Zimmer für Schreibende eingerichtet. «Write and Be» heisst das Angebot für Gäste. Nicht nur literarische Texte können dort entstehen. Auch Texte für die eigene Website, Diplomarbeiten, Buchprojekte oder Essays. Endlich ein Ort, wo man nicht abgelenkt ist. Der Hausherr steht den Schreibenden zum Zwiegespräch und Reflektieren der Texte zur Verfügung.

Musikalisch-komisches Theater mit Nina Dimitri und Silvana Gargiulo

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Clownin Silvana Gargiulo und Sängerin Nina Dimitri: Ein ungleiches Duo teilt sich die Bühne

30.3.2017, von Angela von Lerber

Concerto Rumoristico mit Silvana Gargiulo und Nina Dimitri

Silvana Gargiulo und Nina Dimitri

Es gibt trockenere Aufträge, als die Programmtexte für Nina Dimitri und Silvana Gargiulo zu schreiben. Weil die Vorstellungen Spass gemacht haben und die beiden Künstlerinnen ein noch viel breiteres Publikum verdient haben, will ich die Texte hier im Blog teilen. Regie hat übrigens bei beiden Stücken Ueli Bichsel geführt:

«Buon Appetito mit Nina Dimitri und Silvana Gargiulo

Ein musikalisch-lukullischer Leckerbissen, gespickt mit «Comico all‘italiana»

Buon Appetito mit Silvana Gargiulo und Nina Dimitri

Die Köchin und die Gerantin im Element

Willkommen im Ristorante Buon Appetito! Die Kochlöffel schwingt für Sie: Silvana Gargiulo aus Napoli. Ausgestattet mit Kochgewand und Kochmütze malt sie Ihnen verführerische Varianten italienischer Gaumenfreuden vor Augen – gepfeffert mit scharfsinnigen Sprachparodien und garniert mit lustvoll zelebrierter Italianità. Tischreservationen nimmt die mehrsprachige und geschäftstüchtige Gerantin Nina Dimitri entgegen. Mit ihrer kraftvollen, ausdrucksstarken Stimme überstrahlt sie jedes sprachliche Missverständnis. Virtuos und einfühlsam zupft sie die Saiten ihres Charangos und lockt die Küchenchefin aus der Reserve. Silvana stimmt ein mit Schwingbesen und Küchengeräten. Zweistimmig singen die beiden Künstlerinnen Interpretationen bekannter Lieder aus Italien und aller Welt – mal furioso, mal melancolico – doch immer mit einem Augenzwinkern. Die musikalische Vielfalt des Programms wirkt genauso völkerverbindend wie die italienische Küche «alla mamma».

«Concerto Rumoristico» mit Nina Dimitri und Silvana Gargiulo

Ein Seilzieh-Akt zwischen musikalischen Höhenflügen und verquerer Komik

Concerto Rumoristico mit Nina Dimitri und Silvana Gargiulo

Konzert mit Weibern und Gesang

Als stolze Diva schwebt Nina Dimitri über das Parkett. Ausgestattet mit Abendkleid, Perücke und blinkender Federboa beschwört sie die Lebendigkeit Lateinamerikas, die Liebe und die Leidenschaft. Die Sängerin überzeugt mit musikalischer Qualität, doch sympathisch wirkt sie dabei nicht – beansprucht sie doch die ganze Aufmerksam des Publikums für sich allein. Das missfällt der Begleitpianistin Silvana Gargiulo. Gekränkt, dass ihr in diesem Konzert offenbar nur eine Nebenrolle zugedacht ist, erfindet die kleingewachsene Clownin allerlei Tricks, um sich bemerkbar zu machen, schneidet Grimassen, mimt die Primadonna und macht sich so lange am Klavier zu schaffen, bis das Instrument zum Entsetzen der Sängerin zusammenkracht. Fast scheint es, als hätte die Vorstellung den Nullpunkt erreicht. Doch dank Silvanas Findigkeit führt die Katastrophe zur Wende. Sie behilft sich mit einer Kinder-Melodica und spielt herzerweichend darauf. Endlich gelingt es ihr, der ruhmsüchtigen Sängerin ein Lächeln zu entlocken. Singen die beiden endlich im Duett, wird auch dem Publikum warm ums Herz.

Über die beiden Künstlerinnen

Nina Dimitri: Sängerin, Musikerin (Gitarre, Charango) und Komödiantin

Charango-Virtuosin Nina Dimitri

Charango-Virtuosin Nina Dimitri

In jungen Jahren reiste Nina Dimitri nach Bolivien, um das traditionelle Zupfinstrument Charango der Andenregion zu studieren und das südamerikanische Liedgut zu erforschen. Heute tourt sie von Bühne zu Bühne und begeistert mit virtuoser Zupfakrobatik auf diesem Instrument und einer ausdrucksstarken Stimme, die ohne Mikrofon jeden Raum bis in die hintersten Reihen zu füllen vermag. Doch Nina Dimitri wäre nicht die Tochter eines berühmten Clowns, würde sie ihren Auftritt nicht anreichern mit aberwitzigen musikalischen Parodien.

Silvana Gargiulo: Tragikomische Schauspielerin und Clownin, Regisseurin

Komikerin Silvana Gargiulo

Die vielseitige Komikerin Silvana Gargiuolo

Ein vielsagender Blick, und das Lachen im Saal gehört ihr. Silvana Gargiulo strahlt eine unwiderstehliche Bühnenpräsenz aus. Als tragikomischer Charakter persifliert die kleingewachsene, rundliche Clownin gerne ihre italienische Herkunft, gibt selbstherrlich den Ton an und scheitert an menschlichen Schwächen. Dann wieder bezaubert sie die Zuschauer mit ihrer grazilen Beweglichkeit, die so gar nicht zu ihrer Figur passen will und mit ihrem Gefühl für Rhythmus und Musik. Das Publikum kann nicht anders, als die Komikerin ins Herz zu schliessen. 2015 wurde Silvana Gargiulo nominiert für den Schweizer Kleinkunstpreis.

 

 

Der Kalligraf: magischer Poet der Vergänglichkeit

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Begegnung mit einem Kalligrafen der besonderen Art

25.11.2016, von Angela von Lerber

Strassen-Kalligraf

Schriftzeichen aus Wasser

Auf einer Spaziermeile in Kunming steht der Kalligraf plötzlich auf dem Gehsteig: ein Mann mit Strohhut, der einen überdimensionierten Kalligrafie-Pinsel in seinen mitgebrachten Wasserkübel taucht. Bedächtig lässt er ihn abtropfen, taucht ihn mehrmals wieder ein, um endlich damit zu beginnen, kunstvoll chinesische Schriftzeichen auf den Asphalt zu malen.

Ein Stück Poesie – nur für den Augenblick

Strassen-Kalligraf

Kalligraf der Vergänglichkeit

Die Passanten stehen im Halbkreis. Jeder Strich wird begutachtet und kommentiert. Was der Kalligraf wohl schreiben mag? – Sind es eigene Texte? – Sind es traditionelle Gedichte aus der chinesischen Literatur? – Oder sind es bekannte Zeilen des Konfuzius?

Wie auch immer: Mit ruhiger Hand und schwungvollem Strich malt der Mann  perfekte Schriftzeichen auf den Boden. Die Zuschauer, die etwas davon zu verstehen scheinen, nicken anerkennend.

Lange betrachtet der Kalligraf sein fertiges Werk. Bis allmählich die ersten Zeichen zu verdunsten beginnen, zunächst unlesbar werden, um sich schliesslich ganz in Luft aufzulösen. – Worin lag nur der Sinn des verschwundenen Textes und des vergeblichen Schaffens des Kalligrafen?

Der magische Moment des Verschwindens

Der Kalligraf schrieb seine Zeilen nicht für die Ewigkeit. Nur wenige Minuten blieb sein Werk bestehen. Was zählte, war der Augenblick. Die Hingabe und die Konzentration beim Malen, der Moment der Vollendung. – Doch beim Verschwinden lag in der Luft ein magischer Reiz. Lange standen die Menschen und schauten. Bis das letzte Fleckchen Nass entschwunden war.

Dass manches vergänglich ist, sollten wir vielleicht etwas weniger tragisch nehmen. Es ist auch tröstlich. Und vielleicht liegt das ja Geheimnis darin, dass wir die Dinge ziehen lassen.

Green Lake Park: Kunming und seine Gartenkultur

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Öffentlich üben? – In den Gärten von Kunming darf man es

20.11.2016, von Angela von Lerber

Im Herbst reiste ich für vier Wochen nach Kunming. In der rasant wachsenden Metropole der chinesischen Provinz Yunnan wurde der Green Lake Park bald zu meinem Lieblingsort – eine ruhige Oase im Gewusel der Grossstadt. Es ist eine grosszügig gestaltete Gartenanlage mit Pagoden, bunt bemalten Galerien und begrünten Sitzplätzen rund um einen See mitten im Stadtgebiet.

Green Lake Park Kunming

Green Lake Park Kunming

Viele Einwohner von Kunming verbringen ihre freien Stunden in den öffentlichen Gärten der Stadt. Wer einen Garten betritt, taucht ein in eine andere Welt. Das traditionelle China ist hier noch erstaunlich lebendig. Es ist ein Ort der Ruhe und Harmonie, wo die Menschen hingehen zum Spielen, Musizieren, Tanzen, Meditieren oder einfach Sein.

Ein Treffpunkt für Jung und Alt

Pensionäre und Familien treffen sich zum Brettspiel, während Jugendliche über WeChat Informationen austauschen, Treffpunkte vereinbaren, einkaufen oder Selfies hoch laden. Die Kontraste der chinesischen Gesellschaft sind auch hier spürbar.

Tänzerinnen im Green Lake Park

Tänzerinnen im Green Lake Park von Kunming

Singen, tanzen und musizieren – ohne Anspruch auf Perfektion

Arhu-Spieler

Arhu-Spieler

Fasziniert hat mich das Nebeneinander und die Unbekümmertheit, mit der besonders auch ältere Menschen in Kunmings grünen Oasen ihre Talente ausleben. Mit Inbrunst, aber ohne Anspruch auf Perfektion. Hier entlockt ein wahrer Meister seinem zweisaitigen Arhu, dem traditionellen chinesischen Streichinstrument, die virtuosesten Klänge und Rhythmen.

Nur wenige Meter weiter krächzt ein Anfänger seine ersten Töne aus dem Saxophon. Und im nächstliegenden Pavillon begleitet ein kleines traditionelles ad hoc-Orchester eine Sängerin, die mit ihrer grellen verstärkten Stimme alles übertönt. Dort sitzt eine Alte und singt ganz für sich allein. Niemanden stört‘s.

Ich habe viele Stunden in den Gärten von Kunming verbracht mit ihren Menschen, die hier der lauten Stadt mit ihrer Mühsal den Rücken zukehren, um ihre Kreativität auszuleben.

Friedlicher als mancher Schauplatz auf Social Media

Wo Jung und Alt sich trifft

Wo man sich trifft

Die Szenerie erinnert mich ein bisschen an die Sozialen Medien. Auch Facebook, YouTube & Co. sind öffentliche Gärten, wo Banausen und Anfänger neben Profis und echten Stars ihre Kreativität austesten. Warum sollte nicht jeder etwas ausprobieren dürfen?

Ich verstehe die Niedermacherei und Häme in den sozialen Medien nicht. Warum üben wir uns nicht einfach darin, brillanten Beiträgen anerkennend zuzunicken, vielversprechende Versuche wohlwollend zu kommentieren und bei der Kakophonie an der nächsten Ecke wegzuhören. Die Chinesen in den Gärten von Kunming machen es uns vor. Es sind wohltuend friedliche Orte.

 

Clown Dimitri – Erinnerungen an sein grosses Künstlerherz

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Clown Dimitri und sein unvergessliches Lachen

Clown Dimitri und sein unvergessliches Lachen

22.7.2016, von Angela von Lerber

In der Nacht vom 19. auf den 20. Juli 2016 schloss Clown Dimitri für immer die Augen. Sein Tod kam überraschend – ganz besonders für die, die ihm nahe standen. Am Vortag noch stand er mit dem Dreigenerationenprogramm «DimiTRIgenerations» zusammen mit seiner Familie auf der Bühne des Teatro Dimitri.

Sein feiner Humor, seine Menschlichkeit und sein breites Lachen werden uns allen fehlen.

Clown, Akrobat und Musikant

An Nachrufen, die das Lebenswerk des grossen Schweizer Künstlers ehren, mangelt es nicht, sodass ich mich gefragt habe, ob es überhaupt angebracht ist, auch noch einen Beitrag zu schreiben. Dennoch möchte ich dem Ehrenreigen ein paar ganz persönliche Erinnerungen anfügen:

Der Name Dimitri, das Teatro in Verscio und die Accademia waren für mich als Kleinkunstliebhaberin natürlich schon immer ein Begriff. Die Erinnerungen an seine Auftritte im Zirkus Knie sind noch lebendig. Ich kannte den Künstler als naiven Clown, Akrobaten und Musikanten. Als Fabulierer, Maler und Ideenfänger lernte ich den liebenswürdigen Clown erst 2010 kennen, als mein Mann Jean-Daniel mit seiner Künstleragentur Profile-Productions das Booking für ihn übernahm. Da war Dimitri bereits 75 Jahre alt und voller Tatendrang.

Dimitri als Karl Vester im Freilichtspiel von Hanspeter Gschwend auf dem Monte Verità

Dimitri als Karl Vester im Freilichtspiel von Hanspeter Gschwend auf dem Monte Verità

Wir besuchten ihn vor wenigen Tagen noch in seinem Haus im Centovalli und schauten ihm bei den Proben zu Hanspeter Gschwends Freilichtspiels „Monteverità – Sogni di un’altra vita – Träume eines anderen Lebens“ in der Rolle des letzten Monteveritaners Karl Vesters zu.

Dimitri, der Menschenfreund

Was Dimitri als Künstler ausmachte – sein feiner Humor, seine unbändige Schaffenskraft und sprudelnde Fantasie – das machte ihn auch als Mensch aus. Und umgekehrt. Starallüren waren ihm fremd. Lernte er eine neue Person kennen, frage er stets: „Und was machst du?“

War er unterwegs auf Tour, fand er zwischen den Aufführungen immer noch Zeit, mit seiner Frau Gunda zu telefonieren, eine Ausstellung zu besuchen oder sich mit Künstlerfreunden und Weggefährten zu treffen. Sass er mit seinem Techniker und Tourbegleitern im Restaurant, wurde diskutiert oder gelacht – und unvermittelt entstand aus einer zusammengeknüllten Papierserviette ein Clowngesicht.

Maler, Fabulierer und Ideenfänger

QR-Code à la Dimitri

QR-Code à la Dimitri

Auch wenn Dimitri sich mit dem Computer als Arbeitsinstrument nicht mehr anfreunden wollte – mit seiner wunderschönen Handschrift kommunizierte er lieber per Fax  – so war er modernen Technologien gegenüber durchaus aufgeschlossen. Nachdem er sich zum Beispiel von seinem Agenten die Funktion eines QR-Codes auf der Visitenkarte erklären liess, lag zwei Tage später im Briefkasten der Agentur die folgende Zeichnung:

Den blauen Elefanten zeichnete Dimitri auf dem iPad.

Den blauen Elefanten zeichnete Dimitri auf dem iPad.

Von seinem Sohn David liess Dimitri sich das iPad erklären. Die Zeichnungsfunktion hat es ihm angetan – und schwupp – erschien auf dem Display sein Lieblingstier, der Elefant.

Von seinem Beruf hat der Clown nie Urlaub genommen. Unablässig kritzelte er auf Servietten und schnappte auf, was es in der Welt ringsum zu entdecken gab. Wie oft zückte er mitten im Gespräch sein Notizbüchlein mit der Aufforderung «Wie hast du gesagt, sag das nochmals, ich sammle nämlich gerade Gedanken zum Thema…»

Lieber Dimitri, keine Hommage wird dir gerecht…

Wie sehr die Menschen dich geliebt und geschätzt haben, erfuhr ich, wenn ich manchmal nach der Aufführung hinter dem Büchertisch stand und mir von den Besuchern Anekdoten über ihre Begegnungen mit dir erzählen liess. Wie viele kamen zur Vorstellung, um ihren Kindern oder Enkeln den grossen Clown ihrer Jugend vorzustellen. Theaterstudenten aus aller Welt reisten in die Schweiz, um ihr Vorbild live auf der Bühne zu sehen. Besonders berührt hat mich die Geschichte einer älteren Dame, die vor vielen Jahren im Restaurant servierte, wo du nach einer Aufführung gegessen hast. Du hast damals aus deiner Serviette einen Scherenschnitt gefertigt und ihr spontan geschenkt. Diesen Scherenschnitt hat sie all die Jahre aufbewahrt und kam nun zur Vorstellung, um dir davon zu erzählen.

Du hinterlässt eine grosse Lücke bei deinen Lieben. Aber auch in der Schweizer Kulturlandschaft und bei tausenden von Menschen, deren Herz du berührt hast. «Gute Clowns sind unsterblich», hast du jeweils gesagt. Und es gilt ganz besonders für dich.

Ein Porträt des Clowns von Adriano Heitmann

Ein Porträt des Clowns von Adriano Heitmann

 

Identität: Eine Erkundungsreise zum eigenen Selbst

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Ausstellung «Wer bin ich?» im Vögele Kultur Zentrum

Identität: Wer bin ich?Die Ausstellung «Wer bin ich», im Vögele Kultur Zentrum zeigt ein schillerndes Kaleidoskop an Betrachtungen zum Thema Identität. Als Besucherin tauche ich ein in ein 360-Grad-Universum der menschlichen Persönlichkeit. Am Ende der Entdeckungsreise sind meine Sinne vollgesaugt mit bewegenden Eindrücken und Denkanstössen. Doch das, was jeden einzelnen von uns ausmacht, bleibt mir ein Geheimnis und ein umso grösseres Wunder.

Text: Angela von Lerber

«Wer bin ich? Was kann ich wissen, was soll ich tun, was darf ich hoffen?»

Ausstellung IdentitätIch begebe mich zum Eingang, wo ich einen grünen Pass erhalte, in den ich Namen, Vornamen, Geburtsdatum und Nationalität eintrage – ergänzt mit Geschlecht, Augenfarbe, Haarfarbe und Grösse. Ich bin jetzt jemand. Von da aus führt mich die weisse Spur am Boden durch die Ausstellung. Ob ich auf dieser Erkundungsreise mir selbst begegne? – Vielleicht.

Ganz sicher aber werde ich den unterschiedlichsten Lebensentwürfen und Persönlichkeitsmerkmalen gegenüberstehen. Zum Beispiel den schwer unterscheidbaren Charakterzügen eineiiger Zwillingspaaren. Oder der Mutter eines transsexuellen Kindes, das schon als zweijähriger Junge beginnt,  gegen das angeborene Geschlecht aufzubegehren. Ich schaue mir ein Filmprojekt an, bei dem Touristen und Flüchtlinge auf Lesbos sich auf eine persönliche Begegnung einlassen. Der Weg führt mich vorbei an Schicksalen, von Checkpoint zu Checkpoint, bis ich im Spiegelkabinett der Psyche ankomme. «Bin ich, wer ich sein möchte?», empfängt mich der Schriftzug über dem letzten Ausstellungraum.

Das Ausstellungskonzept

Die beiden Kuratoren, Pia Marti und Jon Bollmann, beleuchten die menschliche Identität in ihren vielfältigsten Facetten: Was steckt als Anlage bereits fest in unseren Genen? Bestimmen die Sterne unser Geschick oder sind es Herkunftsfamilie und Kultur, in die hinein wir geboren wurden? Prägen einschneidende Lebensereignisse unsere Identität, oder liegt es in unserer eigenen Hand, wie wir unser Selbst ausgestalten?

Zahlreiche Forscher sind sich heute einig, dass vererbte Eigenschaften und äussere Einflüsse sich gegenseitig beeinflussen. Indem wir uns selbst reflektieren und mit der Umwelt interagieren, erschafft sich das Ich immer wieder neu. Die Ausstellungsmacher laden uns ein, uns dieser Komplexität zu stellen. Von Checkpoint zu Checkpoint führen sie uns durch sieben Teilaspekte unserer Identität:

  1. Beginn des Lebens: Dass wir überhaupt entstanden sind, bleibt ein Mysterium.
  2. Herkunft: Die ersten Lebensjahre verbringen wir mit der Familie, in die wir hineingeboren wurden. Dies formt unsere Identität ganz wesentlich.
  3. Kultur: Die Gesellschaft, in die hinein wir geboren wurden, prägt unsere Werte, unsere Traditionen, die Sprache, Religion und Sitten.
  4. Nationalität: Die Geografie, das Heimatgefühl, die politischen Machtkonstellationen sowie Mythen und Legenden unseres Landes bestimmen unsere Wurzeln.
  5. Körper: Unser Aussehen und der Körper sind Teil unserer Identität. Sie verändern sich ständig durch Wachstum, Eingriffe, Unfälle, Krankheiten und das Altern.
  6. Status: Der Wunsch nach Status widerspiegelt unsere Sehnsucht nach Anerkennung.
  7. Psyche: Die Psyche ist das Unfassbarste und dennoch der innerste Kern unserer Identität.

«Erkenne dich selbst!»

Empfangen werden wir als Besucher mit den Worten des Orakels von Delphi: «Erkenne dich selbst», um es gleich anschliessend auf der interaktiven Installation der Künstlerin Mary Corey March zu versuchen: Auf einer mit Ich-Aussagen vollbespickten Pinnwand darf jeder seinen individuellen Lebensfaden auswählen und von Identitätsmerkmal zu Identitätsmerkmal weben. So bildet sich aus den Identitäten der Ausstellungsbesucher ein buntes Gemeinschaftsgewebe.

Leben wir vorbestimmt oder selbstbestimmt?

Der Frage, ob es die Gene sind, die unsere Persönlichkeit bestimmen, geht die dänische Neurobiologin und Journalistin Lone Frank auf den Grund. Die Ausstellung zeigt die Reise ihrer Recherchen in der Arte-Doku «Mein genetisches Ich», die auch auf dem Internet zugänglich ist.

Nationale Identität: Ist unsere Prägung relativ?

Lewis Davidson Identität

Lewis Davidson
Eigtheen Flags, seit 2014. Polyester-Flaggen der
Länder Bahrain, Dänemark, England, Georgien,
Grönland, Indonesien, Japan, Kanada, Lettland,
Monaco, Peru, Polen, Österreich, Schweiz, Singapur,
Tunesien, Türkei und Tonga.
Masse variabel.
Foto: © Hannes Thalmann

Nicht alle Aspekte unserer Identität sind so fix, wie wir glauben. Mit diesem Aspekt setzt sich der Künstler Lewis Davidson in seinem Werk «Eighteen Flags» auseinander. Er relativiert unsere Zugehörigkeit zu einer Nationalität, indem er die rotweissen Polyesterflaggen von 18 Ländern auftrennt und einzeln als Fadenknäuel präsentiert: Worin unterscheiden sie sich jetzt noch?

 

 

 

 

 

Kombination von Themenschau und künstlerischer Auseinandersetzung

Ausstellung IdentitätDas Einzigartige an dieser Themenschau ist, dass sie informative und experimentelle Elemente mit Werken zeitgenössischer Künstler kombiniert. Das Vögele Kultur Zentrum sei schweizweit das einzige Haus mit diesem ganzheitlichen Ansatz, lasse ich mir von Nadia Sambuco sagen, die beim Kulturzentrum für die Kommunikation zuständig ist.

Müsste ich jede Station beschreiben, die mich tief beeindruckt hat, nähme dieser Beitrag kein Ende. Die Ausstellung zeigt einen Reichtum an Betrachtungsweisen und Formen der Auseinandersetzung, aus denen ich nur ungern wieder entlassen werde. Das Thema Identität betrifft jeden einzelnen von uns. Ob er nun etwas auf sich hält, oder sich am Rand der Gesellschaft bewegt. Ich wünsche der Ausstellung deshalb, dass viele sie besuchen und mit gestärktem Selbstbewusstsein wieder verlassen.

Das Bunraku-Theater aus Osaka gastiert in Zürich

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Bunraku: Das klassische Puppentheater Japans erstmals auf Schweizer Tournée

Text: Angela von Lerber

Bunraku1_webAnlässlich ihres 150-jährigen Bestehens holt die Schweizerisch-Japanische Gesellschaft im Oktober 2014 zum ersten Mal ein klassisches japanisches Bunraku Puppentheater in die Schweiz. Diese einmalige Gelegenheit will ich mir nicht entgehen lassen. Ich besuche die letzte Station der Tour im Zürcher Schauspielhaus.

Neben Nō und Kabuki ist Bunraku die dritte traditionelle Theaterform in Japan. 1684 in Osaka gegründet, erlebte das Bunraku-Theater im 18. Jahrhundert seinen Höhepunkt. Auch heute werden die grossen Werke von damals noch immer in Osaka gezeigt und als Kulturgut staatlich gefördert. Bei uns in der Schweiz zeigt die Truppe drei Szenen aus verschiedenen Stücken, denn ein echtes Bunraku-Programm dauert in Japan mehrere Stunden.

Eine anspruchsvolle Produktion

Im Grunde greift der Begriff „Puppentheater“ zu kurz, denn Bunraku ist eine Bühnenschau, die mehrere Disziplinen in sich vereint. Was ich an diesem Abend im Zürcher Schauspielhaus zu sehen bekomme, übertrifft all meine Erwartungen. Allein die fast lebensgrossen Puppen mit ihren schillernden Kimono-Gewändern, den Gesichtsmasken und ihren prächtigen Perücken sind Kunstwerke für sich. Jede Puppe wird (sichtbar fürs Publikum) von drei Spielern gemeinsam gespielt, die sich zwischen den kniehohen Bretterwänden der mehrstufigen Kulisse bewegen. Auf der kleinen Seitenbühne daneben lässt der Rezitator seine Stimme erschallen, begleitet vom dreisaitigen Saiteninstrument Shamisen.

Vorhang auf!

Das rhythmische Schlagen von Klanghölzern künden den Beginn des Theaters an. Auf der kleinen Bühne rechts vor dem Vorhang treten der Rezitator (Tayū) und der Shamisen-Spieler auf. Beide verneigen sich. Der Rezitator setzt sich hinter das niedrige Lesepult, der Shamisen-Spieler ergreift sein Saiteninstrument und hält zum Spielen ein grosses Holzplektrum bereit. Bevor sich der Vorhang öffnet, ehrt der Rezitator seinen Lesetext, indem er das Skript mit beiden Händen in die Höhe hält. Darauf erscheint ein schwarz vermummter Spieler auf der Hauptbühne und kündigt den Titel der ersten Szene an. Das Eingangsritual ist abgeschlossen, die Vorstellung geht los.

Zum besseren Verständnis wird der Text über der Bühne auf deutsch und englisch eingeblendet. Auch die Japanerin, die neben mir sitzt, ist auf die Übersetzung angewiesen, den die alte Sprache ist auch für sie nur schwer verständlich.

Kopf, Hand, Beine – ein Zusammenspiel, das Meisterschaft verlangt

Jede einzene der prachtvoll drapierten Riesenpuppen wird von drei Puppenspielern gleichzeitig gespielt. Der Hauptspieler ist für den Kopf und die rechte Hand zuständig. Als einziger Spieler bleibt er unverhüllt. Die beiden anderen, von denen einer nur die linke Hand bedient und der andere die Beine, tragen schwarze Kapuzengewänder. Bald schon nimmt man als Zuschauer die Puppenspieler nicht mehr wahr. Auf der Bühne existieren nur noch die Puppen, deren Innenleben ein wahres mechanisches Wunderwerk ist. Je nach Emotionslage lässt sich Ihr Kopf nach vorn oder nach hinten neigen. Mimik, Mund und Augen sind über Fadenzüge veränderbar, und die hochgesteckten Frisuren lassen sich auflösen. Einige Puppen tragen zwei Kimonos übereinander, sodass auch die Kleidung im Laufe des Spiels ausgetauscht werden kann.

Emotion pur

Die drei gespielten Szenen handeln von grossen Gefühlen: Ein blinder Mann stürzt sich vor Gram über sein wertloses Leben in eine Schlucht, seine trauernde Frau ihm nach. Eine Liebende wird durch Intrigen von ihrem Geliebten getrennt und zelebriert nun ihren Schmerz in einem wilden Tanz. Eine Verlassene wird aus Eifersucht zur Furie.

Eine zentrale Rolle spielt der Rezitator. In rhythmischem Sprechgesang erzählt er die Geschichte und imitiert dabei die Stimme jeder einzelnen Figur. Er beherrscht eine unglaubliche Modulationsvielfalt und wechselt virtuos von Tonlage zu Tonlage. Mal schwillt seine Stimme an, erreicht höchste Töne, um bald in sonore Tiefen abzufallen. Er singt, ruft, heult, klagt, krächzt, kreischt, lacht oder schreit – dynamisch begleitet von den rhythmischen Klängen der Shamisen. Wenn die Figuren auf der Bühne zum Tanz anheben, dann stampfen auch die Puppenspieler mit ihren Holzschuhen im Takt. Das expressive Rezital steigert die Emotionen ins Unermessliche – im Kontrast dazu die strenge Form und die stereotypen Figuren des Puppentheaters.

Die Gefühle der Figuren nehmen regelrecht Gestalt an. Emotionen werden leibhaftig. In ihrer Wut verwandelt sich die zurückgewiesene Liebende in eine Bestie – das hübsche Gesicht wird zur Fratze mit Hörnern. Als Schlange stürzt sie sich ins Wasser, um ihren Geliebten zu rächen. Um sie herum toben Wellen in Form eines blauen Tuches – das farbenfrohe Kimono verwandelt sich in ein silbriges Schuppenkleid mit langer Schleppe.

Präzision und Kunstfertigkeit

Doch die Puppen bewegen sich auch mit einer bewundernswerten Anmut. Im ersten Stück sitzt die Protagonistin in ihrem Haus und näht Stich um Stich mit imaginärer Nadel und Faden an einem Stoff. Wie sie den Faden abreisst und mimisch zwischen den Händen strafft, wirkt umso verblüffender, als doch beide Hände von unterschiedlichen Personen gespielt werden.

Im zweiten Stück „Fuchsfeuer im inneren Garten“ kommt ein Fuchs vor. Dass er seine Ohren spitzen und das Maul aufreissen kann, entockt den Zuschauern ein heiteres Lachen. Das Tier kratzt sich mit der Hinterpfote am Kopf und beisst sich zur Belustigung des Publikums in den eigenen Schwanz. Später ergreift sein „Fuchsfeuer“ auch von der Protagonistin Besitz und gleichzeitig wechselt ihr Kimono die Farbe. Weiss wie der Fuchs tanzt sie nun wie in Trance zu den hypnotisierenden Rufen des Rezitators und den rhythmischen Klängen der Shamisen.

Zehn Jahre braucht ein Puppenspieler bis er jeden Schritt seiner Kunst beherrscht. Im ersten Schritt bedient er nur die Beine der Puppe. Die linke Hand ist den Fortgeschrittenen vorbehalten. Erst als Krönung seiner Fertigkeit kann er sich als Meister der Puppenspieler an den Kopf und die rechte Hand wagen.

Einen faszinierenden Blick hinter die Kulissen des Bunraku-Theaters bieten folgende Doku-Videos auf YouTube:

http://www.youtube.com/watch?v=4TKt67ouaqM
http://www.youtube.com/watch?v=f4G68civvo8

Hommage an Emil Manser

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Über einen, der es allen zeigte

Emil_Manser_Ist_mir_grosse_EhreAm 3. August 2004 nahm sich Emil Manser in Luzern das Leben. Vom Brückengeländer liess er sich in die Reuss fallen, trieb flussabwärts und wurde erst am nächsten Tag tot aufgefunden. Auf der Brücke hinterliess er ein Kartonschild mit der Aufschrift „Krebs – wählte Abkürzung in den Himmel“. Angehörige und Bekannte versuchten herauszufinden, wie es um seine Krankheit stand, doch kein Arzt wusste von einer Krebserkrankung.

Vermutlich sprach Manser von einem anderen Krebs. Dem Krebs, der seine Seele zerfrass.

Text: Angela von Lerber

Stadtoriginal, Strassenphilosoph und Störenfried

Ich habe Emil Manser nie persönlich getroffen. Seinen Namen kannte ich vom Hörensagen, als ich in der Zeitung von seinem Abgang las. Die Öffentlichkeit war bestürzt. Man schreib über ihn als Stadtoriginal, das zum Strassenbild von Luzern gehörte. Er, der zu Lebzeiten nie dazugehörte, wurde betrauert und geehrt.

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Bücher ohne Worte mit Carlos Martínez

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10.6.14, Casinotheater Winterthur: Carlos Martínez spielt „Bücher ohne Worte“

Text: Angela von Lerber

Carlos Martínez in "Bücher ohne Worte"

Carlos Martínez in „Bücher ohne Worte“

Nicht ein einziges Requisit steht auf der Bühne. Als Kulisse dient ein schwarzer Vorhang, das ist alles. Der Schauspieler: Ein Mann in Schwarz mit weiss geschminktem Gesicht und weissen Handschuhen. Die längste Textpassage: tonlose Stille. Die Souffleuse: überflüssig. Das Mikrophon: ein weisser Lichtkegel, der im richtigen Augenblick die richtige Stelle auf der Bühne ausleuchtet. Hie und da etwas Hintergrundmusik.

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