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Über einen, der es allen zeigte
Am 3. August 2004 nahm sich Emil Manser in Luzern das Leben. Vom Brückengeländer liess er sich in die Reuss fallen, trieb flussabwärts und wurde erst am nächsten Tag tot aufgefunden. Auf der Brücke hinterliess er ein Kartonschild mit der Aufschrift „Krebs – wählte Abkürzung in den Himmel“. Angehörige und Bekannte versuchten herauszufinden, wie es um seine Krankheit stand, doch kein Arzt wusste von einer Krebserkrankung.
Vermutlich sprach Manser von einem anderen Krebs. Dem Krebs, der seine Seele zerfrass.
Text: Angela von Lerber
Stadtoriginal, Strassenphilosoph und Störenfried
Ich habe Emil Manser nie persönlich getroffen. Seinen Namen kannte ich vom Hörensagen, als ich in der Zeitung von seinem Abgang las. Die Öffentlichkeit war bestürzt. Man schreib über ihn als Stadtoriginal, das zum Strassenbild von Luzern gehörte. Er, der zu Lebzeiten nie dazugehörte, wurde betrauert und geehrt.
Emil Manser, der Künstler
Heute – zehn Jahre nach seinem Tod – bin ich Emil Manser und seinen Plakaten ganz unverhofft in der Ausstellung „Der nackte Wahnsinn“ im Voegele Kulturzentrum wieder begegnet – Emil Manser, dem Künstler.
Dabei lebte Emil Manser vom Betteln. Immer wieder wurde er verhaftet oder weggesperrt, weil er aneckte. Auch wenn er bei den Luzernern eine gewisse Narrenfreiheit genoss: an seinen Plakaten kam keiner vorbei. Er platzierte sie unübersehbar in belebten Einkaufs- und Flanierzonen. Mit seinen Sprüchen hätte er auf Twitter bestimmt viele Followers begeistert. Statt Plakate hätte er Tweets um die Welt geschickt. Das Zeug zur Kultfigur hätte er gehabt:
- Blakat nur für gehobene Kreise
- Unter toten Fischen aufzufallen ist keine Kunst
- Würde für jedes Schimpfwort ein Baum wachsen Lebten wir im Urwald
Es gab auch Aussagen, mit denen er das aktuelle Zeitgeschehen kommentierte:
- Golf-Krieg war Unterhalt-samer Als Völker-Mord in Tschetschenien.
- Weise Herscher nennen mich „Sör“ (… Es sind wenige)
- In Schweiz viele Freie Schweizer In Asien, Afrika vieh-le Schweizer Freier Betroffen fühlen ist Steuer-frei
Über die sperrigen Sprüche, die er in grossen Lettern auf Plakate malte, musste man einfach stolpern. Rechtschreibfehler gehörten zum Konzept. Man stutzt und stört sich dran, den doppelten Boden erkennt man manchmal erst auf den zweiten Blick. Sind dies Worte eines Verrückten? – Oder sind wir die Verrückten, die wir gewisse Dinge einfach ausblenden und fröhlich weiterleben, als wäre die Welt im Lot?
Ist mir grosse EHRE von gleicher Sorte zu sein
Mansers Lebensgeschichte begann mich zu packen, ich wollte mehr über ihn erfahren. Und so habe ich das Buch gekauft, das zwei Jahre nach seinem Tod über ihn erschienen ist. Es trägt den Titel „Ist mir grosse Ehre von gleicher Sorte zu sein“. Es kommen darin Menschen zur Sprache, die ihn persönlich gekannt haben. Wie etwa jener Juwelier, der ihn rücklings wieder aus seinem Laden schubste, weil er fürchtete, der Landstreicher vermiese ihm im dümmsten Moment sein Weihnachtsgeschäft. Die erschrockenen Augen Emil Mansers seien ihm danach tagelang nicht mehr aus dem Sinn gegangen. Manser brachte viele seiner Zeitgenossen zum Nachdenken, offenbar häufig erst hinterher.
Auch ein autobiografischer Text ist dabei, in dem Manser seine eigene Perspektive zu den mehrfachen Verhaftungen und Einlieferungen in die Psychiatrie schildert.
So ist diese Hommage an Emil Manser ist nicht nur ein Buch über einen Unverstandenen – es ist die Rehabilitation eines kritischen Geistes. Die Worte von Sepp Riedener, Seelsorger für Randgruppen in Luzern, für den so manches Gespräch mit Emil Manser zur Inspiration für die sonntägliche Predigt wurde, bringen es auf den Punkt:
„Es ist besser, Originale zu Lebzeiten ernst zu nehmen, als sie nach dem Tod heilig zu sprechen.“
Das Buch
Ist mir grosse Ehre von gleicher Sorte zu sein.Hommage an den Luzerner Stadtphilosophen Emil Manser 1951-2004
Herausgegeben von
Georg Anderhub, Erich Brechbühl, Anite Bucher und Marco Sieber
db-verlag 2006, ISBN 978-3-905388-19-0