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Cornelia Kabus vom Büro Leichte Sprache Basel im Gespräch
Das Büro Leichte Sprache in Basel gehört zur Stiftung WohnWerk, einer Institution für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung. Im Auftrag von Organisationen, Behörden – und immer häufiger auch von Unternehmen – überträgt die Leiterin, Cornelia Kabus, anspruchsvolle Texte in leichte Sprache. Leichte Sprache richtet sich an Menschen, die Mühe haben, Schrifttexte ohne fremde Hilfe verstehen zu können. So einfach es klingt, das Übertragen von Texten in leichte Sprache ist ein langwieriger Prozess. Bei der Stiftung WohnWerk stehen Cornelia Kabus dazu fünf Prüferinnen und Prüfer zur Seite. Ihnen obliegt im Rahmen einer geschützten Arbeitsstelle die Aufgabe, die übertragenen Texte an die Linguistin zurück zu spiegeln. Oft werden Verständnislücken erst in diesem Prozess offenbar. Wie anspruchsvoll es sein kann, sich in die Wahrnehmung der Zielgruppe hineinzuversetzen, erfahren wir im Gespräch mit Cornelia Kabus:
Cornelia Kabus, auf Ihrer Website unterscheiden Sie zwischen leichter Sprache und einfacher Sprache? – Können Sie dazu etwas sagen?
Grob gesagt richtet sich die leichte Sprache vor allem an Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung. Es sind Menschen mit deutscher Muttersprache, die zwar lesen können, für die aber das Verständnis – insbesondere der Schriftsprache – ganz schwierig ist. Oft verstehen sie ganze Konzepte nicht, zum Beispiel die Mathematik. Jemandem, der nicht rechnen kann, die Bedeutung von 10 % zu erklären, ist schwierig. Dazu müsste man erst einmal eine Mathematikstunde einschalten.
Bei der einfachen Sprache ist die Zielgruppe eine andere. Das können Menschen mit einem Migrationshintergrund sein. Diese kennen zwar durchaus die Konzepte, sind aber der deutschen Sprache nicht so mächtig. Deshalb brauchen sie weniger Erklärungen. Auch werden diese Menschen irgendwann nicht mehr auf die einfache Sprache angewiesen sein. Nämlich dann, wenn sie sich die Sprache angeeignet haben. Die einfache Sprache bewegt sich irgendwo zwischen der leichten Sprache und der Standardsprache. Wenn man die Zielgruppe kennt, kann man den Grad der Vereinfachung anpassen – je nachdem, auf welchem Niveau sich das Verständnis bewegt.
Nehmen wir das Beispiel der 10 % auf, das Sie vorhin erwähnt haben. Wie erklären Sie 10 % in leichter Sprache?
Die leichte Sprache stösst an Grenzen, wo man pragmatisch sein muss. Ich kann zum Beispiel sagen: ein kleiner Teil. Oder ich stelle die Mengenangabe grafisch dar und zeige, wie viel das Ganze wäre und wie viel 10 % davon. Ich kann auch bildlich sprechen: Man schneidet einen Kuchen in zehn Stücke – ein Stück ist dann 10 % davon. Meistens haben wir es allerdings nicht mit runden Zahlen zu tun, bei 17 % wird es schon schwieriger. Es gibt bei der leichten Sprache häufig Dinge, die man aus pragmatischen Gründen einfach weglassen muss. Denn wenn wir ein Lexikon an Erklärungen anhängen, ist die Zielgruppe genauso überfordert.
Arbeiten Sie primär am Wortschatz? – Oder wie gehen Sie konkret vor?
In meinen Weiterbildungen zu einfacher oder leichter Sprache unterscheide ich zwischen Zeichenebene, Wortebene, Satzebene und Textebene. Zum Schluss kommt noch die Gestaltungsebene dazu. Wir arbeiten uns von der kleinsten zur grössten Ebene vor. Auf der Wortebene lässt sich übrigens gar nicht so viel machen, wie man denkt. Es ist eben keine Übersetzung, sondern eine Übertragung in leichte Sprache. Zum Beispiel Fachwörter sind so eine Sache. Für sie gibt es kein einfaches Äquivalent. Ich kann ja nicht einfach ein Wort erfinden, das einfacher klingt. Wenn ein Fachbegriff wichtig ist, muss ich ihn so stehen lassen und erklären, was er bedeutet. Am meisten zu tun gibt es auf der Satzebene. Die leichte Sprache kennt ausschliesslich Ein-Aussage-Sätze. Das sind Hauptsätze mit nur einer Aussage ohne Nebensatz. Leichte-Sprache-Texte sind Listen ohne Satzzusammenhalt. Jeder Satz fängt in einer neuen Zeile an. Und leichte Sprache ist immer ganz konkret.
Wann kommen die Prüferinnen und Prüfer ins Spiel?
Die kommen nur bei der leichten Sprache ins Spiel. Ich orientiere mich hier an den Schwächsten. Wenn die es verstehen, dann kann ich hoffen, dass die übrigen es auch verstehen. Mein Prüferteam hier beim WohnWerk besteht aus fünf Personen mit einer kognitiven Beeinträchtigung. Bei der Zusammenstellung habe ich darauf geachtet, dass die Gruppe möglichst heterogen ist: mit schwerer oder weniger schwerer Beeinträchtigung, Männer, Frauen, ältere und jüngere Personen. Davon ausgehen, dass sie mir nach der Lektüre sagen, sie hätten dieses oder jenes nicht verstanden, kann ich allerdings nicht. Das sind Menschen, die sich ein Leben lang Strategien angeeignet haben, um sich nicht anmerken zu lassen, dass sie etwas nicht verstanden haben. Ich muss sie aufmuntern: ‚Toll, wenn ihr etwas nicht versteht, Ihr seid jetzt die Experten‘. Auch wenn ich es hundertmal sage, ich muss doch immer wieder herausspüren, dass sie etwas nicht verstanden haben und versuchen, es zu kaschieren. Ich stelle dann offene Fragen und lasse sie nacherzählen, was in dem Text steht. Oder ich lasse den Text laut vorlesen und merke an der Betonung des Wortes, dass es nicht verstanden wurde. Kürzlich hatten wir in einem Text den Satz: «Für wen ist die Hausordnung?» – Der Prüfer las vor: «Für ‚wenn‘ ist die Hausordnung?» Als ich nachhakte, stellte sich heraus, dass er verstand, für welchen Zeitpunkt die Hausordnung gedacht sei. So konnten wir das klären.
Ich bin nun bald fünf Jahre dabei und weiss, wie ich es angehen muss. Dennoch gibt es immer wieder neue Formulierungen, bei denen ich nie draufgekommen wäre, dass man sie auch anders verstehen könnte.
Ihr Büro in Basel war das erste Büro für leichte Sprache in der Schweiz. Wie kam es dazu?
Ursprünglich wurde die leichte Sprache in den USA angedacht, in Schweden griff man die Idee dann auf. Zunächst gab es nur die einfache Sprache und die leichte Sprache entwickelte sich daraus später. In Deutschland gibt es die leichte Sprache seit 2002. Nachdem immer mehr Büros für leichte Sprache entstanden sind, richtete die Universität Hildesheim eine Forschungsstelle ein und fand heraus, dass die leichte Sprache, wie sie bis dahin praktiziert worden war, teilweise gar nicht zur besseren Verständlichkeit beigetragen hatte. Vor allem aber fiel auf, dass es für die Übersetzer keine Handhabe gab, auf die sie sich stützen konnten. So wurde das Thema, das von sozialpädagogischer Seite initiiert wurde, erstmals von der linguistischen Seite angegangen. Dank dieser Forschung stehen uns heute eben diese Tipps zur Verfügung, wie man zum Beispiel Schachtelsätze in einzelne Hauptsätze auflösen kann. Die Forschungsstelle Leichte Sprache in Hildesheim bot dazu eine Weiterbildung an, die ich schon kurz nach der Gründung unseres Büros besuchte. Das war sehr wertvoll. Ich informiere mich dort immer noch regelmässig über neue Erkenntnisse.
Inzwischen gibt es auch in der Schweiz mehrere Büros für leichte Sprache. Arbeiten Sie in irgendeiner Form zusammen?
Wir arbeiten alle unabhängig. Wir müssen uns ja alle irgendwie finanzieren. Und das ist leider nicht von irgendeiner unabhängigen Stelle gewährleistet. Wir sind alle am Kämpfen, wie überall in der Kommunikation. Im Gebiet der leichten Sprache ist es noch schlimmer, weil da der Aufwand viel grösser ist. Eigentlich müssten wir ja die doppelten Tarife verlangen, aber das ist unrealistisch, da wir ja meist für soziale Organisationen arbeiten. Es gibt ein Netzwerk ‚Leichte Sprache Schweiz‘. Gerade kürzlich hatten wir ein Netzwerktreffen, zu dem aber nur acht Personen gekommen sind. Die Leute überlegen sich eben, ob ihnen der fachliche Austausch mit anderen einen halben Tag wert ist. Ich persönlich finde es sehr wertvoll.
Wenn Sie einen Wunsch im Hinblick auf die leichte Sprache anbringen könnten, welcher wäre das?
Da gibt es zwei Wünsche: Der eine wäre, dass die Dienstleistung irgendwie staatlich finanziert würde. Denn ich finde, das wäre eigentlich eine Aufgabe der Gesellschaft. Wenn man wirklich Inklusion will, kann man dies nicht auf dem Rücken einiger sozialer Institutionen austragen lassen, sondern muss sich insgesamt darum kümmern.
Zum anderen würde ich mir wünschen, dass Inklusion und Teilhabe auch auf anderer Ebene noch stärker vorangetrieben würden. Für meinen Geschmack konzentriert man sich zu stark auf leichte Sprache und sagt: «Wir haben ja jetzt unsere Website übersetzt.» Der Bund zum Beispiel übersetzt sehr viel in leichte Sprache, weil er die Behindertenrechtskonvention umsetzen will. So nach dem Motto: «Wir haben unser Behindertenkonzept in leichte Sprache übersetzt. Wunderbar, jetzt haben wir unsere Pflicht erfüllt.» Das Problem dabei ist, dass die Realität eine andere ist. Menschen mit einer Beeinträchtigung haben nie gelernt, dass sie ein Mitspracherecht haben. Die wissen gar nicht, was das ist. Die wissen noch nicht mal, was es bedeutet, sich selbst zu informieren. Wenn ich sie frage, wie würdest du hier oder da entscheiden, haben sie keine Ahnung. Wenn man wirklich will, dass sie abstimmen dürfen, dann müsste man ihnen erst einmal erklären, was überhaupt Politik ist. Viele kennen noch nicht einmal den Begriff. Es gibt natürlich Grenzen. Kognitive Grenzen. Aber viele von ihnen könnten auf jeden Fall sehr viel mehr. Viele könnten viel selbstständiger sein, werden aber vom System unselbstständig gehalten. Da müsste auf vielen Ebenen noch sehr viel laufen, damit sie inkludiert werden und mehr Möglichkeiten haben, mitzuentscheiden. Es reicht nicht zu sagen: Hier habt ihr einen Text, jetzt informiert euch und nun seid ihr selbst verantwortlich. Für Teilhabe braucht es mehr als einen Text in leichter Sprache. Wenn auch die leichte Sprache ein sehr wertvolles Instrument dazu ist. Aber sie ist eben nur ein Instrument.
Links:
Leichte Sprache – das Regelbuch, Prof. Christiane Maaß, Forschungsstelle Leichte Sprache, Universität Hildesheim: https://www.uni-hildesheim.de/media/fb3/uebersetzungswissenschaft/Leichte_Sprache_Seite/Publikationen/Regelbuch_komplett.pdf
Das Büro Leichte Sprache bietet regelmässig Weiterbildungen in leichter Sprache an. Informationen dazu gibt es hier: https://www.leichte-sprache-basel.ch/Unser-Angebot/Weiterbildung/PvUZq/