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Generationenübergreifende Nachbarschaftshilfe als Zeitvorsorge

Zeitvorsorge: Wir bestimmen, wie wir alt werden wollen

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Angela von Lerber ist das Gesicht hinter phil-rouge: Sie konzipiert, schreibt und kreiert Content für On- und Offline-Publikationen.
Angela von Lerber
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Wie das System der Zeitvorsorge die Problematik der Überalterung abfedern will

4.12.2017, von Angela von Lerber

Wir werden immer älter. Wenn im Laufe der nächsten 15 Jahre die geburtenstärksten Jahrgänge der Babyboomer das Pensionsalter erreichen, ist ihre Lebenserwartung so hoch, wie bei keiner Generation vor ihnen. In der Schweiz haben Männer bei Eintritt ins Pensionsalter im Schnitt noch 19,8 Jahre vor sich – Frauen gar 22,6. Und in der Regel erfreuen sie sich noch etwa 15 Jahre lang einer guten Gesundheit. Erst ab dem 80sten Altersjahr sind sie zunehmend auf Unterstützung im Alltag oder auf Pflege angewiesen.

Immer mehr Menschen im Pensionalter

Das ist erfreulich, wäre damit nicht ein dramatischer Anstieg des Altersquotienten in unserer Bevölkerung verbunden. Gemäss Hochrechnungen des Bundesamtes für Statistik werden in rund dreissig Jahren insgesamt 2,7 Millionen über 65-jährige Menschen in der Schweiz leben. Ihr Anteil in den städtischen Kantonen wird knapp 45 % betragen, während es in den Randregionen aufgrund der Abwanderung der jungen Generation gar über 60 % sein dürften.

Wie wird unsere Gesellschaft damit umgehen?

Mit der steigenden Lebenserwartung nimmt auch die Zahl an unterstützungs- und pflegebedürftigen Menschen zu. Ist unsere Gesellschaft dieser Herausforderung gewachsen? –  Wie viel Finanzierungs- und Betreuungslast lässt sich auf die Schultern der anteilsmässig schwindenden jüngeren Bevölkerung übertragen? Und wie wird unsere Gesellschaft mit diesem Konfliktpotenzial umgehen? Sowohl Junge wie Babyboomer haben allen Grund, besorgt in die eigene Zukunft zu sehen.

Die «AHV-Teenager» sind gefordert

Neben der Lebenserwartung dürfte auch der Beginn und die Dauer der Pflegebedürftigkeit eine wichtige Rolle spielen. Die intergenerationelle Solidarität und Unterstützung könnte den Eintritt ins Pflegeheim hinauszögern und so die explodierenden Kosten dämpfen. Insbesondere die dritte Generation der 60 bis 80-Jährigen, die nicht mehr im Erwerbsleben stehen, jedoch noch gesund und vital sind, könnte hier einen Beitrag leisten, indem sie gegenüber der vierten Generation der Hochbetagten Betreuungsfunktionen übernimmt.

Das Zeitvorsorge-Modell von KISS: Anderen helfen und gleichzeitig für sich selbst vorsorgen

Mit der Idee, dieses „ungenutzte“ Potenzial der Frührentner in die Gesellschaft einzubringen, startete vor acht Jahren der Verein KISS den Aufbau eines Zeitgutschriften-Systems. Seither fördert KISS die Gründung lokaler Zeitvorsorge-Genossenschaften, deren Mitglieder sich gegenseitig und generationenübergreifend Nachbarschaftshilfe leisten und dafür Zeitgutschriften erhalten. Für jede geleistete Zeitgutschrift können die freiwilligen Helfenden bei Bedarf später ihrerseits Unterstützung beziehen. In über zehn Wohngemeinden sind bereits solche Zeitvorsorge-Genossenschaften aktiv und weitere sind im Aufbau.

Ergebnisse einer Begleitstudie

Das soziale Experiment von KISS wurde während der letzten zwei Jahre durch ETH-Professor Theo Wehner und Dr. Stefan Güntert vom Institut für Nonprofit und Public Management der FNHW Basel wissenschaftlich begleitet.  Der Evaluationsbericht liest sich spannend und ist auf der Website der Age-Stiftung einsehbar. Ob es wirklich gelingen kann, mit dem System der Zeitvorsorge eine Art Absicherung fürs Alter aufzubauen, lässt sich in diesem Zeitpunkt noch nicht beantworten. Fest steht, dass die Nachbarschaftshilfe in den bereits gegründeten Genossenschaften funktioniert, und dass sie die generationenübergreifende Solidarität und die soziale Integration stärkt. Kürzlich durfte ich den Arbeits- und Organisationspsychologen Theo Wehner im Auftrag der AXA Stiftung Generationen-Dialog zu den Erkenntnissen aus der Studie befragen.