Schlagwort-Archive: Gesellschaft

Jahresbericht 2018 von LIV – Leben in Vielfalt

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Angela von Lerber ist das Gesicht hinter phil-rouge: Sie konzipiert, schreibt und kreiert Content für On- und Offline-Publikationen.
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LIV Jahresbericht: Einblick in die Aktivitäten einer Institution für Menschen mit Behinderung

Mein alljährliches Herzensprojekt, der Jahresbericht für LIV – Leben in Vielfalt, ist inzwischen unter den Leuten. Mit einem vielfältigen Wohn- und Beschäftigungsangeboten fördert die kantonale Institution von Basel-Stadt die Selbständigkeit und die Teilhabe erwachsener Menschen mit einer Beeinträchtigung. Im vergangenen Jahr war LIV vor allem mit der Umsetzung des neuen kantonalen Behindertenhilfegesetzes beschäftigt, das einen Systemwechsel hin zur bedarfsorientierten Finanzierung mit sich brachte.

Schwerpunktthema «Angehörige»

Abgesehen von der Berichterstattung über die Aktivitäten des vergangenen Jahres kommen in diesem Jahresbericht auch eine Reihe Angehöriger zu Wort. Bereitwillig haben sie sich für ein Gespräch zur Verfügung gestellt und geben Einblick in ihr Erleben: Wie ist es, wenn ein Familienvater aus heiterem Himmel von einem schlimmen Gendefekt, der Huntington Krankheit, heimgesucht wird? – Wie kommt man damit zurecht, wenn man als ganze Familie von dieser neurodegenerativen Erbkrankheit betroffen ist? – Auch zwei Mütter von stark verhaltensauffälligen Söhnen mit Autismus kommen zu Wort und sprechen über die Grenzen, an die sie stossen. Wohin soll eine Mutter sich wenden, wenn sie nach der heilpädagogischen Schule einfach keine passende Anschlusslösung für ihren Sohn findet? Wenn er überall aneckt? Für Erwachsene aus dem Spektrum Autismus gibt es nach wie vor viel zu wenig Angebote.

Wahre Geschichten, wahre Heldinnen, wahre Helden

Es sind wahre Geschichten, die hier erzählt werden. Die Hinternisse und Herausforderungen sind für die Betroffenen oft grenzenlos. Ein Happy End ist nicht in Sicht. Trotzdem haben die Menschen, die ich getroffen habe, etwas geschafft: Sie sind dankbar für alle guten Momente und für alles, was in ihrer schweren Situation Linderung bewirkt. Vor allem aber, wenn sie ihr Kind, ihren Ehepartner, einen Elternteil in guten Händen wissen.

Gut, dass es Institutionen, wie LIV gibt!

(Fotografie und Gestaltung des Jahresberichts: Stephan Jungck, fortissimo)

Ältere Blogbeiträge über LIV:
Das neue Wohnheim Klosterfiechten

Echte «Teigwahrheiten» von Helena & Co.

 

Büro für leichte Sprache

Leichte Sprache: Schlüssel zur Teilhabe oder einfach ein erster Schritt?

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Cornelia Kabus vom Büro Leichte Sprache Basel im Gespräch

Das Büro Leichte Sprache in Basel gehört zur Stiftung WohnWerk, einer Institution für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung. Im Auftrag von Organisationen, Behörden – und immer häufiger auch von Unternehmen – überträgt die Leiterin, Cornelia Kabus, anspruchsvolle Texte in leichte Sprache. Leichte Sprache richtet sich an Menschen, die Mühe haben, Schrifttexte ohne fremde Hilfe verstehen zu können. So einfach es klingt, das Übertragen von Texten in leichte Sprache ist ein langwieriger Prozess. Bei der Stiftung WohnWerk stehen Cornelia Kabus  dazu fünf Prüferinnen und Prüfer zur Seite. Ihnen obliegt im Rahmen einer geschützten Arbeitsstelle die Aufgabe, die übertragenen Texte an die Linguistin zurück zu spiegeln. Oft werden Verständnislücken erst in diesem Prozess offenbar. Wie anspruchsvoll es sein kann, sich in die Wahrnehmung der Zielgruppe hineinzuversetzen, erfahren wir im Gespräch mit Cornelia Kabus:

Cornelia Kabus, auf Ihrer Website unterscheiden Sie zwischen leichter Sprache und einfacher Sprache? – Können Sie dazu etwas sagen?

Grob gesagt richtet sich die leichte Sprache vor allem an Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung. Es sind Menschen mit deutscher Muttersprache, die zwar lesen können, für die aber das Verständnis – insbesondere der Schriftsprache – ganz schwierig ist. Oft verstehen sie ganze Konzepte nicht, zum Beispiel die Mathematik. Jemandem, der nicht rechnen kann, die Bedeutung von 10 % zu erklären, ist schwierig. Dazu müsste man erst einmal eine Mathematikstunde einschalten.

Bei der einfachen Sprache ist die Zielgruppe eine andere. Das können Menschen mit einem Migrationshintergrund sein. Diese kennen zwar durchaus die Konzepte, sind aber der deutschen Sprache nicht so mächtig. Deshalb brauchen sie weniger Erklärungen. Auch werden diese Menschen irgendwann nicht mehr auf die einfache Sprache angewiesen sein. Nämlich dann, wenn sie sich die Sprache angeeignet haben. Die einfache Sprache bewegt sich irgendwo zwischen der leichten Sprache und der Standardsprache. Wenn man die Zielgruppe kennt, kann man den Grad der Vereinfachung anpassen – je nachdem, auf welchem Niveau sich das Verständnis bewegt.

Nehmen wir das Beispiel der 10 % auf, das Sie vorhin erwähnt haben. Wie erklären Sie 10 % in leichter Sprache?

Die leichte Sprache stösst an Grenzen, wo man pragmatisch sein muss. Ich kann zum Beispiel sagen: ein kleiner Teil. Oder ich stelle die Mengenangabe grafisch dar und zeige, wie viel das Ganze wäre und wie viel 10 % davon. Ich kann auch bildlich sprechen: Man schneidet einen Kuchen in zehn Stücke – ein Stück ist dann 10 % davon. Meistens haben wir es allerdings nicht mit runden Zahlen zu tun, bei 17 % wird es schon schwieriger. Es gibt bei der leichten Sprache häufig Dinge, die man aus pragmatischen Gründen einfach weglassen muss. Denn wenn wir ein Lexikon an Erklärungen anhängen, ist die Zielgruppe genauso überfordert.

Arbeiten Sie primär am Wortschatz? – Oder wie gehen Sie konkret vor?

In meinen Weiterbildungen zu einfacher oder leichter Sprache unterscheide ich zwischen Zeichenebene, Wortebene, Satzebene und Textebene. Zum Schluss kommt noch die Gestaltungsebene dazu. Wir arbeiten uns von der kleinsten zur grössten Ebene vor. Auf der Wortebene lässt sich übrigens gar nicht so viel machen, wie man denkt. Es ist eben keine Übersetzung, sondern eine Übertragung in leichte Sprache. Zum Beispiel Fachwörter sind so eine Sache. Für sie gibt es kein einfaches Äquivalent. Ich kann ja nicht einfach ein Wort erfinden, das einfacher klingt. Wenn ein Fachbegriff wichtig ist, muss ich ihn so stehen lassen und erklären, was er bedeutet. Am meisten zu tun gibt es auf der Satzebene. Die leichte Sprache kennt ausschliesslich Ein-Aussage-Sätze. Das sind Hauptsätze mit nur einer Aussage ohne Nebensatz. Leichte-Sprache-Texte sind Listen ohne Satzzusammenhalt. Jeder Satz fängt in einer neuen Zeile an. Und leichte Sprache ist immer ganz konkret.

Wann kommen die Prüferinnen und Prüfer ins Spiel?

Die kommen nur bei der leichten Sprache ins Spiel. Ich orientiere mich hier an den Schwächsten. Wenn die es verstehen, dann kann ich hoffen, dass die übrigen es auch verstehen. Mein Prüferteam hier beim WohnWerk besteht aus fünf Personen mit einer kognitiven Beeinträchtigung. Bei der Zusammenstellung habe ich darauf geachtet, dass die Gruppe möglichst heterogen ist: mit schwerer oder weniger schwerer Beeinträchtigung, Männer, Frauen, ältere und jüngere Personen. Davon ausgehen, dass sie mir nach der Lektüre sagen, sie hätten dieses oder jenes nicht verstanden, kann ich allerdings nicht. Das sind Menschen, die sich ein Leben lang Strategien angeeignet haben, um sich nicht anmerken zu lassen, dass sie etwas nicht verstanden haben. Ich muss sie aufmuntern: ‚Toll, wenn ihr etwas nicht versteht, Ihr seid jetzt die Experten‘. Auch wenn ich es hundertmal sage, ich muss doch immer wieder herausspüren, dass sie etwas nicht verstanden haben und versuchen, es zu kaschieren. Ich stelle dann offene Fragen und lasse sie nacherzählen, was in dem Text steht. Oder ich lasse den Text laut vorlesen und merke an der Betonung des Wortes, dass es nicht verstanden wurde. Kürzlich hatten wir in einem Text den Satz: «Für wen ist die Hausordnung?» – Der Prüfer las vor: «Für ‚wenn‘ ist die Hausordnung?» Als ich nachhakte, stellte sich heraus, dass er verstand, für welchen Zeitpunkt die Hausordnung gedacht sei. So konnten wir das klären.

Ich bin nun bald fünf Jahre dabei und weiss, wie ich es angehen muss. Dennoch gibt es immer wieder neue Formulierungen, bei denen ich nie draufgekommen wäre, dass man sie auch anders verstehen könnte.

Ihr Büro in Basel war das erste Büro für leichte Sprache in der Schweiz. Wie kam es dazu?

Ursprünglich wurde die leichte Sprache in den USA angedacht, in Schweden griff man die Idee dann auf. Zunächst gab es nur die einfache Sprache und die leichte Sprache entwickelte sich daraus später. In Deutschland gibt es die leichte Sprache seit 2002. Nachdem immer mehr Büros für leichte Sprache entstanden sind, richtete die Universität Hildesheim eine Forschungsstelle ein und fand heraus, dass die leichte Sprache, wie sie bis dahin praktiziert worden war, teilweise gar nicht zur besseren Verständlichkeit beigetragen hatte. Vor allem aber fiel auf, dass es für die Übersetzer keine Handhabe gab, auf die sie sich stützen konnten. So wurde das Thema, das von sozialpädagogischer Seite initiiert wurde, erstmals von der linguistischen Seite angegangen. Dank dieser Forschung stehen uns heute eben diese Tipps zur Verfügung, wie man zum Beispiel Schachtelsätze in einzelne Hauptsätze auflösen kann. Die Forschungsstelle Leichte Sprache in Hildesheim bot dazu eine Weiterbildung an, die ich schon kurz nach der Gründung unseres Büros besuchte. Das war sehr wertvoll. Ich informiere mich dort immer noch regelmässig über neue Erkenntnisse.

Inzwischen gibt es auch in der Schweiz mehrere Büros für leichte Sprache. Arbeiten Sie in irgendeiner Form zusammen?

Wir arbeiten alle unabhängig. Wir müssen uns ja alle irgendwie finanzieren. Und das ist leider nicht von irgendeiner unabhängigen Stelle gewährleistet. Wir sind alle am Kämpfen, wie überall in der Kommunikation. Im Gebiet der leichten Sprache ist es noch schlimmer, weil da der Aufwand viel grösser ist. Eigentlich müssten wir ja die doppelten Tarife verlangen, aber das ist unrealistisch, da wir ja meist für soziale Organisationen arbeiten. Es gibt ein Netzwerk ‚Leichte Sprache Schweiz‘. Gerade kürzlich hatten wir ein Netzwerktreffen, zu dem aber nur acht Personen gekommen sind. Die Leute überlegen sich eben, ob ihnen der fachliche Austausch mit anderen einen halben Tag wert ist. Ich persönlich finde es sehr wertvoll.

Wenn Sie einen Wunsch im Hinblick auf die leichte Sprache anbringen könnten, welcher wäre das?

Da gibt es zwei Wünsche: Der eine wäre, dass die Dienstleistung irgendwie staatlich finanziert würde. Denn ich finde, das wäre eigentlich eine Aufgabe der Gesellschaft. Wenn man wirklich Inklusion will, kann man dies nicht auf dem Rücken einiger sozialer Institutionen austragen lassen, sondern muss sich insgesamt darum kümmern.

Zum anderen würde ich mir wünschen, dass Inklusion und Teilhabe auch auf anderer Ebene noch stärker vorangetrieben würden. Für meinen Geschmack konzentriert man sich zu stark auf leichte Sprache und sagt: «Wir haben ja jetzt unsere Website übersetzt.» Der Bund zum Beispiel übersetzt sehr viel in leichte Sprache, weil er die Behindertenrechtskonvention umsetzen will. So nach dem Motto: «Wir haben unser Behindertenkonzept in leichte Sprache übersetzt. Wunderbar, jetzt haben wir unsere Pflicht erfüllt.» Das Problem dabei ist, dass die Realität eine andere ist. Menschen mit einer Beeinträchtigung haben nie gelernt, dass sie ein Mitspracherecht haben. Die wissen gar nicht, was das ist. Die wissen noch nicht mal, was es bedeutet, sich selbst zu informieren. Wenn ich sie frage, wie würdest du hier oder da entscheiden, haben sie keine Ahnung. Wenn man wirklich will, dass sie abstimmen dürfen, dann müsste man ihnen erst einmal erklären, was überhaupt Politik ist. Viele kennen noch nicht einmal den Begriff. Es gibt natürlich Grenzen. Kognitive Grenzen. Aber viele von ihnen könnten auf jeden Fall sehr viel mehr. Viele könnten viel selbstständiger sein, werden aber vom System unselbstständig gehalten. Da müsste auf vielen Ebenen noch sehr viel laufen, damit sie inkludiert werden und mehr Möglichkeiten haben, mitzuentscheiden. Es reicht nicht zu sagen: Hier habt ihr einen Text, jetzt informiert euch und nun seid ihr selbst verantwortlich. Für Teilhabe braucht es mehr als einen Text in leichter Sprache. Wenn auch die leichte Sprache ein sehr wertvolles Instrument dazu ist. Aber sie ist eben nur ein Instrument.

Links:

Leichte Sprache – das Regelbuch, Prof. Christiane Maaß, Forschungsstelle Leichte Sprache, Universität Hildesheim: https://www.uni-hildesheim.de/media/fb3/uebersetzungswissenschaft/Leichte_Sprache_Seite/Publikationen/Regelbuch_komplett.pdf

Das Büro Leichte Sprache bietet regelmässig Weiterbildungen in leichter Sprache an. Informationen dazu gibt es hier: https://www.leichte-sprache-basel.ch/Unser-Angebot/Weiterbildung/PvUZq/

 

 

Leitbild Leichte Sprache

Leichte Sprache: wie sie Worthülsen aufdeckt

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Leichte Sprache schwere Sprache

Leichte Sprache soll für die, an die sie gerichtet ist, etwas Leichtes sein. Für die, die sie schreiben, ist sie alles andere als leicht. Wer – wie die meisten, die diesen Beitrag lesen – seine Muttersprache beherrscht und mit ihr zu spielen vermag, verfügt über ein mächtiges Werkzeug. Mit unserer ausgefeilten Sprachfertigkeit können wir komplexe Zusammenhänge erklären, Sachverhalte präzisieren, Argumente formulieren, unsere Meinung vertreten, verteidigen und darüber hinaus auch das gesamte Spektrum menschlicher Gefühle abrufen. Über Sprache setzen wir Akzente, lassen Erinnerungen anklingen, rücken Dinge ins rechte Licht oder ins falsche, verpacken Hiobsbotschaften in Watte, überhöhen Fakten oder drängen sie in die Ecke der Bedeutungslosigkeit. Mit Sprachwitz und Ironie vermögen wir das Denken zu stimulieren. Mit zynischem Sarkasmus speien wir tödliches Gift.

Leichte Sprache – direkt und konkret

Für Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung oder Personen mit eingeschränktem Sprachverständnis ist dieser Nuancenreichtum ein Buch mit sieben Siegeln. Sie haben zwar lesen gelernt, aber das Verständnis – insbesondere der Schriftsprache – ist schwierig für sie. Was zwischen den Zeilen steht oder an ein Konzept anknüpft, das ihnen fremd ist, geht verloren. Komplexe Inhalte bleiben ihnen verschlossen. Damit auch Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung an der Gesellschaft teilhaben und sich selbstständig informieren können, haben private und öffentliche Institutionen damit begonnen, Informationen in leichter Sprache zur Verfügung zu stellen. Leichte Sprache ist immer konkret. So sind die Textübertragungen äusserst aufschlussreich, nicht nur für die Menschen, für die sie gedacht sind.

Leichte Sprache kann zu denken geben

Der Journalist Holger Fröhlich stellt regelmässig für das Wirtschaftsmagazin brandeins Texte in leichter Sprache zusammen, Gesetzesparagraphen zum Beispiel. Seine Einführung lautet: «Die Leichte Sprache richtet sich vorwiegend an Menschen mit Lernschwierigkeiten oder Behinderungen – vielleicht hat sie aber noch größeres Potenzial?» Wer sich die Kostproben zu Gemüte führt, wird sich ein Schmunzeln über die Sprengkraft der leichten Sprache für komplizierte Menschen nicht verkneifen können. Einige davon sind kabarettreif.

Leitbilder in leichter Sprache

Vor kurzem hat die Geschäftsstelle von LIV – Leben in Vielfalt, der kantonalen Angebote für begleitetes Wohnen Basel-Stadt, ihr Leitbild in leichte Sprache übertragen lassen. Das hat mich veranlasst, Cornelia Kabus vom Büro Leichte Sprache über ihre Arbeit zu befragen. Zum Auftrag von LIV sagt die studierte Linguistin:

«Leitbilder sind immer herausfordernd. Da kommen die immer gleichen symbolhaften Aussagen vor. Zum Beispiel der Begriff ‚Leuchtturm‘. Der Ausdruck klingt wunderschön, ist aber eben nicht sehr konkret. In der leichten Sprache ist es wichtig, ganz konkret zu sein. Da kann man nichts verhüllen. Man kann keine Andeutungen machen oder zwischen den Zeilen durchschimmern lassen. Und man kann auch nicht lügen. Jede Aussage muss konkret sein.»

An diesem Punkt muss Cornelia Kabus jeweils nachhaken. Was ist konkret gemeint mit all den wohlklingenden Aussagen? Es täte wohl manchem Leitbild gut, in leichte Sprache übertragen zu werden, bevor es in die Kommunikation einfliesst – so quasi als Lackmustest für Substanz und Umsetzbarkeit der wohlformulierten Leitlinien.

Wanderausstellung «Suizid – und dann?»

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Die Wanderausstellung «Suizid – und dann?» kann ab sofort gebucht werden

Wanderausstellung Suizid

4 Module mit insgesamt 19 Panels sensibilisieren und informieren über Suizidalität und mögliche Folgen für Hinterbliebene

Ab sofort steht die Wanderausstellung «Suizid – und dann?» interessierten Organisation für die Ausleihe bereit. Im Auftrag des Vereins Trauernetz durfte phil-rouge bei der Konzeption und Umsetzung der Ausstellungsmodule mitarbeiten. Visuell gestaltet hat die insgesamt 19 Ausstellungspanels der Fotograf und Grafiker Stephan Jungck.

16.10.2018, von Angela von Lerber

Die Wanderausstellung informiert über Suizidalität und die möglichen Folgen für Hinterbliebene. Sie richtet sich an die breite Bevölkerung wie auch an Fachpersonen und beruflich Involvierte, die in ihrem Alltag mit Suizid konfrontiert sind. Im Rahmen des zweijährigen Aktionsplans Suizidprävention des Bundes hat das Bundesamt für Gesundheit BAG die Konzeption und Produktion dieser Ausstellung sowohl finanziell wie auch fachlich unterstützt.

Wie umgehen mit Suizid?

Täglich scheiden in der Schweiz zwei bis drei Personen freiwillig aus dem Leben. Darüber hinaus werden tagtäglich bis zu dreissig Personen nach einem missglückten Suizidversuch medizinisch betreut. Wäre es da nicht unsere Pflicht, sie vor dem vorzeitigen Tod zu beschützen? Dafür zu sorgen, dass es gar nicht erst soweit kommt? – Oder handelt es sich beim Suizid um den freien Willensentscheids eines selbstverantwortlichen Menschen, den es zu respektieren und zu akzeptieren gilt?

Orientierung für Betroffene und helfende Berufe

Betroffenen Angehörigen bleibt nach dem Schock über das Unfassbare nur letzteres übrig. Für sie beginnt mit dem Suizid ein komplizierter und langer Leidensweg. Sogar in unserer säkularisierten Gesellschaft ist ein Suizid nach wie vor tabubehaftet. Wir wissen nicht, wie damit umgehen, wenn in unserer nächsten Umgebung ein Suizid passiert. Um betroffene Trauernde und ihrem persönlichen Beziehungsumfeld zur Seite zu stehen, hat Jörg Weisshaupt den Verein Trauernetz gegründet, nachdem er viele Jahre sowohl beruflich wie auch ehrenamtlich Betroffene betreut hat. Jörg Weisshaupt war Notfallseelsorger, hat bei der Gründung und Betreuung diverser Selbsthilfegruppen für Hinterbliebene mitgewirkt, hat zahlreiche Schulungen und Veranstaltungen zum Thema durchgeführt und wirkt mit im Vorstand des Vereins Ipsilon (Initiative zur Prävention von Suizid in der Schweiz).

Textpassagen aus dem Buch «Darüber reden – Perspektiven nach Suizid»

Die Wanderausstellung «Suizid – und dann?» enthält unter anderem Texte von Hinterbliebenen aus dem Buch «Darüber reden – Perspektiven nach Suizid», das 2013 im Verlag Johannes Petri erschienen ist.

Kostenfreie Ausleihe beim Verein Trauernetz

Gemeinden, Schulen, Organisationen, Vereine und Unternehmen, die zum Thema Suizid sensibilisieren möchten, können die mobile Ausstellung leihweise beim Verein Trauernetz beziehen. Darüber hinaus unterstützt der Verein Trauernetz interessierte Institutionen bei der Organisation von Fachreferaten, Filmvorträgen, Podiumsdiskussionen oder Schulungen.

Die Ausstellung besteht aus 4 Modulen mit insgesamt 19 Rollups (85cm x 211 cm), die als Gesamtpaket oder modular geliehen werden können. Die Ausleihe ist kostenfrei – für den Transport muss der Veranstalter aufkommen.

Ausleihe Wanderausstellung: Trauernetz

 

Generationenübergreifende Nachbarschaftshilfe als Zeitvorsorge

Zeitvorsorge: Wir bestimmen, wie wir alt werden wollen

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Wie das System der Zeitvorsorge die Problematik der Überalterung abfedern will

4.12.2017, von Angela von Lerber

Wir werden immer älter. Wenn im Laufe der nächsten 15 Jahre die geburtenstärksten Jahrgänge der Babyboomer das Pensionsalter erreichen, ist ihre Lebenserwartung so hoch, wie bei keiner Generation vor ihnen. In der Schweiz haben Männer bei Eintritt ins Pensionsalter im Schnitt noch 19,8 Jahre vor sich – Frauen gar 22,6. Und in der Regel erfreuen sie sich noch etwa 15 Jahre lang einer guten Gesundheit. Erst ab dem 80sten Altersjahr sind sie zunehmend auf Unterstützung im Alltag oder auf Pflege angewiesen.

Immer mehr Menschen im Pensionalter

Das ist erfreulich, wäre damit nicht ein dramatischer Anstieg des Altersquotienten in unserer Bevölkerung verbunden. Gemäss Hochrechnungen des Bundesamtes für Statistik werden in rund dreissig Jahren insgesamt 2,7 Millionen über 65-jährige Menschen in der Schweiz leben. Ihr Anteil in den städtischen Kantonen wird knapp 45 % betragen, während es in den Randregionen aufgrund der Abwanderung der jungen Generation gar über 60 % sein dürften.

Wie wird unsere Gesellschaft damit umgehen?

Mit der steigenden Lebenserwartung nimmt auch die Zahl an unterstützungs- und pflegebedürftigen Menschen zu. Ist unsere Gesellschaft dieser Herausforderung gewachsen? –  Wie viel Finanzierungs- und Betreuungslast lässt sich auf die Schultern der anteilsmässig schwindenden jüngeren Bevölkerung übertragen? Und wie wird unsere Gesellschaft mit diesem Konfliktpotenzial umgehen? Sowohl Junge wie Babyboomer haben allen Grund, besorgt in die eigene Zukunft zu sehen.

Die «AHV-Teenager» sind gefordert

Neben der Lebenserwartung dürfte auch der Beginn und die Dauer der Pflegebedürftigkeit eine wichtige Rolle spielen. Die intergenerationelle Solidarität und Unterstützung könnte den Eintritt ins Pflegeheim hinauszögern und so die explodierenden Kosten dämpfen. Insbesondere die dritte Generation der 60 bis 80-Jährigen, die nicht mehr im Erwerbsleben stehen, jedoch noch gesund und vital sind, könnte hier einen Beitrag leisten, indem sie gegenüber der vierten Generation der Hochbetagten Betreuungsfunktionen übernimmt.

Das Zeitvorsorge-Modell von KISS: Anderen helfen und gleichzeitig für sich selbst vorsorgen

Mit der Idee, dieses „ungenutzte“ Potenzial der Frührentner in die Gesellschaft einzubringen, startete vor acht Jahren der Verein KISS den Aufbau eines Zeitgutschriften-Systems. Seither fördert KISS die Gründung lokaler Zeitvorsorge-Genossenschaften, deren Mitglieder sich gegenseitig und generationenübergreifend Nachbarschaftshilfe leisten und dafür Zeitgutschriften erhalten. Für jede geleistete Zeitgutschrift können die freiwilligen Helfenden bei Bedarf später ihrerseits Unterstützung beziehen. In über zehn Wohngemeinden sind bereits solche Zeitvorsorge-Genossenschaften aktiv und weitere sind im Aufbau.

Ergebnisse einer Begleitstudie

Das soziale Experiment von KISS wurde während der letzten zwei Jahre durch ETH-Professor Theo Wehner und Dr. Stefan Güntert vom Institut für Nonprofit und Public Management der FNHW Basel wissenschaftlich begleitet.  Der Evaluationsbericht liest sich spannend und ist auf der Website der Age-Stiftung einsehbar. Ob es wirklich gelingen kann, mit dem System der Zeitvorsorge eine Art Absicherung fürs Alter aufzubauen, lässt sich in diesem Zeitpunkt noch nicht beantworten. Fest steht, dass die Nachbarschaftshilfe in den bereits gegründeten Genossenschaften funktioniert, und dass sie die generationenübergreifende Solidarität und die soziale Integration stärkt. Kürzlich durfte ich den Arbeits- und Organisationspsychologen Theo Wehner im Auftrag der AXA Stiftung Generationen-Dialog zu den Erkenntnissen aus der Studie befragen.

 

Erzählen ist freiwillig, zuhören ist Pflicht im Erzählcafé

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Storytelling als Methode in der Altersarbeit

23.3.2017, von Angela von Lerber

Storytelling im Erzählcafé

Das Erzählcafé für Menschen ab 60 Jahren

Storytelling ist in aller Munde. Wer interessiert sich schon für nackte Fakten? Und so sind Kommunikationsprofis denn ständig auf der Jagd nach der ultimativen Geschichte, die anschaulich transportiert, was Sache ist. Doch es gibt ursprünglichere Formen des Storytellings. In der sozialen Arbeit zum Beispiel, wo Menschen im Rahmen von Erzählcafés Vergangenes aufleben lassen und dadurch Momente der Wertschätzung erfahren.

Kürzlich nahm ich als Gast an einem solchen Anlass teil. Gabriela Giger, Altersbeauftragte der Gemeinde Richterswil, bietet seit 2013 Erzählcafés für Personen ab 60 Jahren  an. Da ich für ein eigenes Projekt am Recherchieren war, durfte ich für diesen Nachmittag das Erzählthema einbringen. Die zwei Stunden des kollektiven Erinnerns entpuppten sich für mich als wahre Fundgrube. Doch weit darüber hinaus konnte ich miterleben, wie bereichernd das Erzählen und Zuhören sein kann. Im Interview gibt Gabriela Giger einen Einblick ins Format des Erzählcafés:

Erinnern, erzählen, wertschätzen

Das Interview mit Gabriela Giger, Altersbeauftragte der Gemeinde Richterswil:

Gabriela Giger, was ist das Wesen des Erzählcafés, worum geht es?

Das Erzählcafé ist eine Biografiemethode der sozialen Arbeit. Es sind Lebensgeschichten, die hier erzählt werden. Menschen kommen zusammen und teilen ihre Erlebnisse zu einem bestimmten Thema. Es geht nicht darum, wer etwas besser weiss oder andere darüber denken. Es wird auch nicht diskutiert, sondern eigene Lebenserfahrungen und erlebte Episoden erzählt. Meine Aufgabe ist es, diese Gesprächsrunden zu moderieren und einen Raum zum Erzählen zu schaffen.

Was hat dich bewegt, ein solches Angebot ins Leben zu rufen?

Ich finde es interessant zu hören, wie unterschiedlich das Leben verlaufen kann, was es bedeutet, dass jemand zum Beispiel als Mann geboren wurde oder als Kind während des Krieges gelebt hat. In diesen Momenten wird mir bewusst: So, wie ich das Leben lebe, ist nur eine Variante von vielen.

An diesem Nachmittag kamen auf 8 Frauen 2 Männer. Ist Erzählen Frauensache?

Vielleicht hat es auch mit dem Alter zu tun. Das Alter ist nun einmal weiblich. Es gibt mehr alleinstehende alte Frauen als Männer. Ich glaube aber auch, dass Frauen schon im früheren Lebensalter verstehen, wie wichtig das Erzählen – auch schwieriger Dinge – ist. Die Frauen haben es einfach mehr geübt als die Männer.

Wie kommen die Erzählcafés bei den Teilnehmenden an?

Ich stelle jeweils fest, wie sich im Laufe eines Nachmittags die Stimmung verändert. Diese Lebendigkeit, die aus all den Lebenserfahrungen quillt, lässt die Leute mit einer anderen Mimik hinausgehen als sie gekommen sind. Dass es eben für einmal nicht darum geht, wer besser, schöner, schneller ist, sondern dass jede Erfahrung ihre Gültigkeit hat und nicht bewertet werden muss, tut grundsätzlich jedem gut. Vermutlich wirkt es sogar gesundheitsfördernd. Wenn ich mich mitteilen kann und vom eigenen Leben erzählen, so wie es gewesen ist, mit allem Schwierigen und allem Schönen, wenn ich mich anderen gegenüber öffnen kann, dann hat dies etwas sehr Wohltuendes.

Ist es schwierig, Themen zu finden?

Überhaupt nicht. Jedes Thema eignet sich. Auch Banales, wie etwa „Schuhe“. Weil die Leute etwas erlebt haben und durch die Erzählungen der anderen angeregt werden, ist es überhaupt nicht schwierig. Das Erinnern ist sehr ansteckend! Nehme ich bekannte Weisheiten, Sprichwörter und Redensarten, kann ich noch hundert Jahre Erzählcafé anbieten.

Hast du die Erinnerungen je protokolliert oder aufgenommen, um sie festzuhalten und vor dem Vergessen zu retten?

Das Wesentliche ist, dass jemand in Ruhe erzählen kann. Und dass andere in Ruhe zuhören. Das ist der einfache Trick, warum es funktioniert. Jede und jeder kann etwas beitragen, muss aber nicht. Es gibt keinen Leistungsanspruch. Das Einzige, was man muss, ist zuhören. Das ist in der heutigen Zeit eine grosse Kostbarkeit. Jemand hört mir zu und vermittelt mir das Gefühl, interessant zu sein. Darum geht es.

Mir kam es beim Zuhören vor, als würden wir gemeinsam einen Schatz bergen, der irgendwo in der Versenkung lag. Und dann mussten wir ihn wieder gehen lassen – vielleicht zurück in die Versenkung…

So, wie Erinnerungen eben sind. Interessant ist ja, was wir in Erinnerung behalten und was nicht. Beim Erinnern, sagt man, müsse es eine gefühlsmässige Verbindung geben, damit bestimmte Dinge im Gedächtnis haften bleiben. Insofern handelt es sich bei Erinnerungen um genau diese Perlen. Ich glaube, die halten ewig. Die lassen sich nicht nehmen. Die Frage ist, wie gross dieser Schatz ist und wie oft ich meine Schatzkiste anschauen und sehen kann, was alles drin liegt. Vielleicht bin ich tatsächlich erstaunt, was da alles auch noch liegt. Erzählen ist etwas ganz anderes als schriftliches Festhalten und Konservieren.

Was ist dein Eindruck: Ist Erinnerung etwas, das sich im Laufe der Zeit verfälscht?

Ich kann bei anderen nicht nachprüfen, was verformt ist. Das gelingt mir nicht einmal bei mir. Ich bin aber überzeugt, dass sich mit den Jahren und all den neuen Erfahrungen, die dazukommen, vieles verformt. Ereignisse werden anders ausgewertet und mit anderem verknüpft, sodass sie tatsächlich, wenn man genau nachfragen würde, nicht mehr ganz der Realität entsprechen. Aber ich glaube, dass dies bei Erinnerungen nicht entscheidend ist. Weil es einen persönlichen Grund gibt, warum jemand sich etwas in dieser Art gemerkt hat.  Es hat jetzt diesen Stellenwert, so erzählt zu werden und nicht anders. Und ich bin die Person, die die Kompetenz hat, zu entscheiden, wie ich meine Erinnerung jetzt in Sprache fasse.

Leistest du in Richterswil Pionierarbeit oder gibt es viele solcher Erzählcafés in der Schweiz?

Mit dem Netzwerk Erzählcafé, das entstanden ist, hat sich das Format etabliert. Das Netzwerk wird vom Migros Kulturprozent unterstützt, schliesslich ist es ja auch ein Generationenthema. Jetzt wird erstmals aufgenommen, wo überall in der Schweiz Erzählcafés stattfinden. Ich weiss von Kolleginnen, die dies ebenfalls anbieten. Die Methode lässt sich in unterschiedlichem Kontext brauchen, sei es für eine Kulturgeschichte, für eine Dorfgeschichte, an einem Geburtstagsfest, aber auch zur Bewältigung schwieriger Themen.

Welche Qualifikationen braucht es, um ein Erzählcafé zu moderieren?

Es braucht die Fähigkeit, diese Erzählrunden wirklich zu führen. Das Erzählcafé unterscheidet sich von einer Plauderrunde. Die Moderatorin  bereitet sich thematisch vor, führt das Gespräch und achtet darauf, dass nicht einzelne die ganze Redezeit für sich beanspruchen. Beim Erinnern kommen manchmal auch sehr schlimme Lebenserfahrungen hoch. Als Moderatorin darf ich keine Angst vor aufbrechenden Gefühlen haben, die hier einen Rahmen haben. Ich muss sicher sein im Umgang mit der Gruppe und ein Auge dafür haben, ob es allenfalls nachträglich eine Begleitung braucht. Das sind Qualitäten, die in einem solch herausfordernden  Moment zum Vorschein kommen.

Du hast dich eine Ausbildung gemacht – wo und wie?

Von Beruf bin ich Sozialarbeiterin. Vor ein paar Jahren  hat die reformierte Kirche des Kantons Zürich eine Ausbildung für Erzählcafés angeboten, unter der Leitung von  Lisbeth Herger, die ebenfalls biografisch berufstätig ist und mit dem Erwachsenenbildner Walter Lüssi. Es war eine sehr schöne Lernerfahrung, weil ich das Gelernte gleich anwenden und daraus lernen konnte. Mit all den theoretischen Kenntnissen, die ich hatte, wurde ich direkt in die Rolle des Moderierens geworfen. Durch diese  Art des Lernens konnten wir gemeinsam auswerten, was sich wie bewegt hat, warum sich eine Gesprächsrunde eher schwierig gestaltete und wie es kam, dass ein Thema plötzlich eine ganz andere Richtung nahm, als ich es mir gewünscht hätte.

Seither hat sich Professorin Johanna Kohn an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) Soziale Arbeit des Themas angenommen. Die FHNW bietet Fachtagungen zum Thema an und die Universität Freiburg führt bereits zum zweiten Mal ein CAS «Lebenserzählungen und Lebensgeschichten» durch.

Ich stelle fest, dass die Erzählcafés, die sich über Jahre hinweg erfolgreich halten, von Personen durchgeführt werden, die solche Gesprächsrunden von ihrer Fähigkeit und Position her gut anleiten können. Viele denken: «So ein bisschen miteinander Erzählen und Kaffee trinken, das kann ich auch.» Es braucht  mehr, dass es gut funktioniert. Man muss den Leuten einen Raum zum Erzählen zubereiten, in dem sie bei Bedarf auch geschützt sind. Das macht den qualitativen Unterschied aus. Deshalb finde ich es toll, wenn eine Fachhochschule sich dem Thema Erzählcafé in der sozialen Arbeit annimmt.

Echte «Teigwahrheiten» von Helena & Co.

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Taschen, Kunst und Produktdesign von Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung

27.11.2016, von Angela von Lerber

Taschen von Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung

Taschenverkauf LIV «für Lüüt wo tüend chrämpfle»

Helena hat eine geistige Beeinträchtigung. Aber sie kann lachen. Und sie malt lustige Gesichter. Ihre Werke sind bis Ende Februar auf der Geschäftsstelle der Behindertenhilfe Basel-Stadt «LIV – Leben in Vielfalt» zu sehen. Dort kann man Helenas Bilder und Collagen käuflich erwerben – oder eine Tasche mit Bildaufdruck und einem ihrer Sprüche für Fr. 6.50. Der Erlös des Taschenverkaufs geht auf Helenas Wunsch «a Lüüt, wo tüend chrämpfle» (Menschen mit Epilepsie).

5000 Taschen für eine neurologische Klinik in Togo

Martina Bötticher, Geschäftsführerin LIV, mit Helena und ihrer Mutter Veronika Kisling (vlnr.)

LIV verkauft Taschen von Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung: Martina Bötticher, Geschäftsführerin LIV, mit Helena und ihrer Mutter Veronika Kisling (vlnr.)

5000 Taschen wollen die Initiatoren bis Ende Februar 2017 verkaufen. Der Erlös geht an den Aufbau der neurologischen Klinik von Dr. Kokou Sodjehoun-Brunner in Togo, wo Menschen mit Epilepsie oder anderen Beeinträchtigungen bisher praktisch keine medizinische Versorgung erhielten.

Die Taschen können ab dem 5. Dezember 2016 im neu eröffneten Glücksladen von LIV an der Riehenstrasse 235 in Basel erstanden werden. Bestellungen ab 50 Stück nimmt die Geschäftsstelle LIV entgegen.

Bilder und Wortschöpfungen von Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung

Von klein auf förderte die Künstlerin und Kunsttherapeutin Veronika Kisling das kreative Schaffen ihrer schwer geistig behinderten Tochter. Die gemalten Bilder verwandelt sie in hochwertige Kunstwerke und Produkte. Der Traum der Mutter: Mit künstlerischen Motiven und Wortschöpfungen geistig beeinträchtigter Menschen einen Mehrwert für die Gesellschaft zu schaffen – zum Beispiel mit Produktetiketten. So zierte der Spruch «S’Wasser het nie Durscht» mit einem gemalten Helena-Gesicht schon einmal eine Spezialabfüllung der Mineralquelle Gontenbad.

Helena beginnt zu malen

«Am Anfang malte Helena nur Gesichter» (Veronika Kisling führt durch die Ausstellung)

«Am Anfang malte Helena nur Gesichter» (Veronika Kisling führt durch die Ausstellung)

Die Diagnose Tuberöse Sklerose war für die Mutter niederschmetternd. Niemand konnte ihr sagen, ob ihre Tochter das vierte Lebensjahr überhaupt erreichen würde. Doch Helena wuchs heran und irgendwann spannte Veronika Kisling in ihrem Atelier zum ersten Mal auch für Helena eine Leinwand auf. Damit begann eine künstlerische Reise, auf der Mutter und Tochter sich gegenseitig inspirierten. Helena malte fröhliche Gesichter und entwickelte eine unbändige Kreativität. Bei aller Belastung für die Mutter sorgte das Mädchen mit lustigen Einfällen immer wieder für erfrischende Momente.

Bilder, Collagen und sogar Stühle und Lampen entstehen

Auch diese Stühle und Lampen hat Veronika Kiesling mit Bildern von Helena gestaltet

Auch diese Stühle und Lampen hat Veronika Kiesling mit Bildern von Helena gestaltet

Inzwischen ist Helena zwanzig Jahre alt, wohnt bei LIV in einer Wohngruppe und nimmt an den Tagesstruktur-Angeboten teil. Nach wie vor arbeiten Mutter und Tochter künstlerisch zusammen. Die Bilder, Collagen, Stühle, Lampen und Taschen, die an der LIV-Geschäftsstelle am Claragraben gezeigt werden, dokumentieren eine eindrückliche Entwicklung.

 

Ich-bin-da-Produkte: Die Idee für ein Sozialunternehmen nimmt Formen an

Mit unbeugsamem Elan und viel Idealismus widmet sich Veronika Kisling der öffentlichen Sensibilisierung für die Anliegen geistig behinderter Menschen. Es geht ihr um mehr, als um ihr eigenes Schicksal. Es geht ihr um Inklusion. Sie wünscht sich, dass Menschen mit einer Beeinträchtigung für die Gesellschaft sichtbar werden, dass Begegnungen passieren und dass geistig beeinträchtigte Menschen mit ihren Fähigkeiten ebenfalls einen Beitrag leisten können. Aus ihren Wortschöpfungen und künstlerischen Motiven will die Künstlerin Produkte für den Detailhandel kreieren. Dazu hat sie den Verein Helena gegründet. Geht es nach ihr, werden in den Ladengestellen von Schweizer Detailhändlern bald schon Produkte mit dem Label «Ich-bin-da» stehen.

Das Taschenprojekt wird mitgetragen von

  • LIV Leben in Vielfalt Basel
  • Kindermuseum Creaviva im Zentrum Paul Klee
  • IG Bluemefritz
  • Schloss Herdern/TG
  • Stiftung Sonnmatt Langenbruck/BL

 

Green Lake Park: Kunming und seine Gartenkultur

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Angela von Lerber ist das Gesicht hinter phil-rouge: Sie konzipiert, schreibt und kreiert Content für On- und Offline-Publikationen.
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Öffentlich üben? – In den Gärten von Kunming darf man es

20.11.2016, von Angela von Lerber

Im Herbst reiste ich für vier Wochen nach Kunming. In der rasant wachsenden Metropole der chinesischen Provinz Yunnan wurde der Green Lake Park bald zu meinem Lieblingsort – eine ruhige Oase im Gewusel der Grossstadt. Es ist eine grosszügig gestaltete Gartenanlage mit Pagoden, bunt bemalten Galerien und begrünten Sitzplätzen rund um einen See mitten im Stadtgebiet.

Green Lake Park Kunming

Green Lake Park Kunming

Viele Einwohner von Kunming verbringen ihre freien Stunden in den öffentlichen Gärten der Stadt. Wer einen Garten betritt, taucht ein in eine andere Welt. Das traditionelle China ist hier noch erstaunlich lebendig. Es ist ein Ort der Ruhe und Harmonie, wo die Menschen hingehen zum Spielen, Musizieren, Tanzen, Meditieren oder einfach Sein.

Ein Treffpunkt für Jung und Alt

Pensionäre und Familien treffen sich zum Brettspiel, während Jugendliche über WeChat Informationen austauschen, Treffpunkte vereinbaren, einkaufen oder Selfies hoch laden. Die Kontraste der chinesischen Gesellschaft sind auch hier spürbar.

Tänzerinnen im Green Lake Park

Tänzerinnen im Green Lake Park von Kunming

Singen, tanzen und musizieren – ohne Anspruch auf Perfektion

Arhu-Spieler

Arhu-Spieler

Fasziniert hat mich das Nebeneinander und die Unbekümmertheit, mit der besonders auch ältere Menschen in Kunmings grünen Oasen ihre Talente ausleben. Mit Inbrunst, aber ohne Anspruch auf Perfektion. Hier entlockt ein wahrer Meister seinem zweisaitigen Arhu, dem traditionellen chinesischen Streichinstrument, die virtuosesten Klänge und Rhythmen.

Nur wenige Meter weiter krächzt ein Anfänger seine ersten Töne aus dem Saxophon. Und im nächstliegenden Pavillon begleitet ein kleines traditionelles ad hoc-Orchester eine Sängerin, die mit ihrer grellen verstärkten Stimme alles übertönt. Dort sitzt eine Alte und singt ganz für sich allein. Niemanden stört‘s.

Ich habe viele Stunden in den Gärten von Kunming verbracht mit ihren Menschen, die hier der lauten Stadt mit ihrer Mühsal den Rücken zukehren, um ihre Kreativität auszuleben.

Friedlicher als mancher Schauplatz auf Social Media

Wo Jung und Alt sich trifft

Wo man sich trifft

Die Szenerie erinnert mich ein bisschen an die Sozialen Medien. Auch Facebook, YouTube & Co. sind öffentliche Gärten, wo Banausen und Anfänger neben Profis und echten Stars ihre Kreativität austesten. Warum sollte nicht jeder etwas ausprobieren dürfen?

Ich verstehe die Niedermacherei und Häme in den sozialen Medien nicht. Warum üben wir uns nicht einfach darin, brillanten Beiträgen anerkennend zuzunicken, vielversprechende Versuche wohlwollend zu kommentieren und bei der Kakophonie an der nächsten Ecke wegzuhören. Die Chinesen in den Gärten von Kunming machen es uns vor. Es sind wohltuend friedliche Orte.

 

Hommage an Emil Manser

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Über einen, der es allen zeigte

Emil_Manser_Ist_mir_grosse_EhreAm 3. August 2004 nahm sich Emil Manser in Luzern das Leben. Vom Brückengeländer liess er sich in die Reuss fallen, trieb flussabwärts und wurde erst am nächsten Tag tot aufgefunden. Auf der Brücke hinterliess er ein Kartonschild mit der Aufschrift „Krebs – wählte Abkürzung in den Himmel“. Angehörige und Bekannte versuchten herauszufinden, wie es um seine Krankheit stand, doch kein Arzt wusste von einer Krebserkrankung.

Vermutlich sprach Manser von einem anderen Krebs. Dem Krebs, der seine Seele zerfrass.

Text: Angela von Lerber

Stadtoriginal, Strassenphilosoph und Störenfried

Ich habe Emil Manser nie persönlich getroffen. Seinen Namen kannte ich vom Hörensagen, als ich in der Zeitung von seinem Abgang las. Die Öffentlichkeit war bestürzt. Man schreib über ihn als Stadtoriginal, das zum Strassenbild von Luzern gehörte. Er, der zu Lebzeiten nie dazugehörte, wurde betrauert und geehrt.

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Der helle Wahnsinn; das Leben jenseits von Normen

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Was heisst schon normal?

Die aktuelle Ausstellung „Der helle Wahnsinn; das Leben jenseits von Normen“ im Vögele Kulturzentrum  lotet die Trennlinie zwischen Normalität und Wahnsinn aus. Quer durch die Ausstellung trennt eine wellenförmige Spiegelwand den Raum in Sphären: Gezeigt werden individuelle Normüberschreitungen, der Wahnsinn als Krankheitsbild, der Verlust der Bodenhaftung in der Finanzwelt und schliesslich gibt es auch einen Raum, in dem mit der Abweichung von der Norm selbst gespielt werden darf.

Text: Angela von Lerber

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