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Über 70 Teilnehmer aus 21 Nationen trafen sich zur ersten World Mime Conference
27.3.2018, von Angela von Lerber
Welche Bilder gehen Ihnen durch den Kopf, wenn Sie das Wort Pantomime hören? – Lebende Statuen als Touristenattraktion entlang einer belebten Flaniermeile, ein verstaubtes Theater in irgendeinem Hinterhof oder gähnende Langeweile in halbleeren Zuschauerreihen? Mit solchen Vorurteilen räumt die World Mime Organisation auf. 2004 vom serbischen Mimen Marko Stojanović und seinem israelischen Berufskollegen Ofer Blum ins Leben gerufen, lud die Organisation vom 21. bis 23. März 2018 zur ersten World Mime Conference nach Belgrad.
Lange haben die beiden Initiatoren davon geträumt, die Bühnenkünstler der Pantomime und des Körpertheaters sowie ihre Ausbildungsstätten und Institutionen aus allen Ecken der Welt an einem Ort zusammenzubringen. Als Termin für das erste Stelldichein der Mimenkunst wählten sie den World Mime Day vom 22. März, der gleichzeitig der Geburtstag des wohl weltbekanntesten Mimen Marcel Marceau ist. Über 70 Teilnehmer aus 21 Ländern sind dem Ruf nach Belgrad gefolgt – einige per live Zuschaltung über Skype.
Eine Stimme für die leisen Töne der Pantomime
In seiner Ansprache bringt Vizepräsident Ofer Blum das Anliegen des Zusammentreffens auf den Punkt:
«Wir wollen die Pantomime vom Stigma der Antiquiertheit befreien und aufzeigen, welches Potenzial diese Kunstform in sich trägt.» (Ofer Blum)
Die vom Hunter College New York zugeschaltete Theater-Professorin Mira Felner bestätigt seine Diagnose: unter den neuen Studenten am Hunter College kannte gemäss Umfrage nur eine einzige Studentin aus Frankreich den Namen des wohl weltbekanntesten Mimen Marcel Marceau. Höchste Zeit also, diesen Tatbestand zu ändern.
Teilnehmer aus vier Kontinenten
Die Teilnehmer der ersten World Mime Conference kamen aus Nord-, West- und Osteuropa, den USA, Kolumbien, Brasilien, Japan, China, Bangladesch und Sri Lanka. Eine ansehnliche Gruppe stammte aus Serbien, wo der lokale Organisator Marko Stojanović seit Jahren sein Netzwerk aufbaut und pflegt. Nebst der jährlichen Preisvergabe für besondere Verdienste in der Welt der Pantomime erwartete die Teilnehmer ein dicht gedrängtes Programm. Die Grenzen der Pantomime wurden auslotet und eifrig diskutiert. Wenn man sich auch nicht immer einig war, wo Pantomime aufhört und moderner Tanz anfängt – in einem Punkt stimmte man überein: Die Pantomime hat sich weiter entwickelt und vermag viel mehr zu bewirken, als gemeinhin angenommen wird.
Verleihung der World Mime Awards
Schon in früheren Jahren hat die World Mime Organisation einen Preis für besondere Verdienste im Bereich der Pantomime vergeben. Diesem Jahr waren es gleich fünf Preise, die an Bühnenkünstler oder Institutionen vergeben wurden. Einen davon erhielt der spanische Mime Carlos Martínez, der auch in der Kleinkunstszene der Schweiz kein Unbekannter ist und seit bald vier Jahrzehnten mit seinen Soloprogrammen auf den Bühnen der Welt tourt. Die weiteren Preisträger waren:

Amiran Shalikashvili jr. präsentiert den spektakulären Neubau, den das staatliche Pantomime-Theater von Georgien in Tiflis plant.
- Ella Jaroszewicz, Paris
- Pantomimteatern, Stockholm
- Das staatliche Pantomime-Theater Shalikashvili, von Geogien, Tiflis
- Das International Monodrama & Mime Festival, Zemun (Serbien)
Kaleidoskop der Pantomime
Über die Bühne hinaus eignet sich die Pantomime als grossartiges Instrument zur Inklusion von benachteiligten oder körperlich beeinträchtigen Menschen. Die Arbeit mit dem Körper wie das gemeinsame Erleben und Auf-der-Bühne-stehen stärken das Selbstwertgefühl. Aus naheliegenden Gründen pflegt insbesondere die Gehörlosencommunity die Kunst der Pantomime. Lepa Petrović, Leiter der Gehörlosenschule in Belgrad, Julijana Lekić von der serbischen Vereinigung der Gebärdendolmetscher und der gehörlose Mime Ivan Beader erzählten von Pantomime-Projekten unter Gehörlosen. Auf besonderes Interesse stiess die Idee, gemeinsame Bühnenprojekte mit Gehörlosen und Hörenden zu realisieren – endlich auf gleicher Augenhöhe. Mime Nemo aus Deutschland wiederum berichtete, wie er mit seinem Projekt Mime Art for Life mit Workshops in den Townships von Südafrika das Selbstbewusstsein der Jugendlichen stärkt, und sie mit auf Tournee nimmt. Auch mit Behindertenorganisationen arbeitet er zusammen:
«Es braucht viel Geduld. Aber wenn ich für kurze Zeit in der Welt eines Autisten zu Gast sein durfte, fühle ich mich reich beschenkt.» (Nemo alias Wolfgang Neuhausen)
Als Tanz- und Bewegungstherapeut arbeitet Miodrag Kastratović mit Paraplegikern und Menschen mit einer körperlichen Behinderung. Seit vielen Jahren engagiert er sich für die Durchführung von Paradance-Meisterschaften. Erst durch die Begegnung mit dem Gründer der World Mime Organisation wurde ihm nach 35 Jahren Tätigkeit bewusst, dass es eigentlich nicht Tanz war, was er hier praktizierte, sondern Pantomime. Er ist überzeugt – und die Therapieerfolge geben ihm recht: «Pantomime ist besser als jede Medizin.»
Weitere Referate und Präsentationen beleuchteten den künstlerlischen Aspekt der Pantomime zu folgenden Themen:
- Pantomime und Tanz
- Die Zukunft der Pantomime als Kunstform und Erwerbsmöglichkeit
- Pantomime als Curriculum im Rahmen der Hochschulbildung
Nachwuchsförderung
Nicht zu kurz kam auch das Lernen und Umsetzen an diesen Tagen. Altgediente Meister der Szene waren angereist, um einen Einblick in ihr Wirken zu geben: so Yoram Boker, der noch im hohen Alter in Tel Aviv an der Universität lehrt, oder Ella Jaroszewicz, die Witwe Marcel Marceaus und ehemaliges Mitglied der Truppe Tomaszewskis. 1974 hatte sie in Paris ihr eigenes Ausbildungsinstitut für Körpertheater eröffnet.
Mit Stanislaw Brosowski war ein weiterer Meister des Körpertheaters nach Belgrad gereist – auch er ein ehemaliger Schüler Tomaszewskis. Brosowski unterrichtet an der Hochschule für Künste in Stockholm und lehrt angehende Schauspieler, auf der Bühne nicht nur ihre Stimme, sondern auch den Körper einzusetzen.
Abgerundet wurde die Konferenz mit einem Nachwuchswettbewerb und praktischen Workshops.
Der Blick zurück: ein Blick in die Zukunft?
Längst nicht jeder Wort- oder Bühnenbeitrag lässt sich in einer Rückschau auf die dichten drei Tage würdigen. Was bleibt, ist Staunen, wie vielfältig die universale Kunstform der Pantomime ist, und an vielen Orten in aller Welt sie nach wie vor auf höchstem Niveau gepflegt wird.
Wurden die bekannten französischen Mimen wie Jacques Lecoq, Etienne Decroux und Marcel Marceau oder der Pole Henryk Tomaszewski in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wie Stars gefeiert, hat die Pantomime heute einen schweren Stand im Schatten des modernen Theaters oder der unterhaltenden Comedy. Die Mimen von damals setzten ihrer Zeit einen Standpunkt entgegen: Vor dem Hintergrund sozialer Spannungen, Kriegsrhetorik oder auch Dekadenz brachten sie die leisen, menschliche Regungen zum Klingen. Wo Worte wirkungslos blieben oder erst gar nicht geduldet wurden, appellierte die Pantomime an die Mitmenschlichkeit. Ob es ihr gelingt, sich diese Rolle in der Gegenwart zurückzuerobern? Das Zusammentreffen zur World Mime Conference könnte ein erster Anfang sein.